Wachgeküßt
eigentlich, der erste wäre schon strange gewesen, Skidmark mit dem Anzug aus blauen Eierschachteln und dem patriotischen Haar, aber die anderen waren völlig daneben. Eine lange Reihe von Theo-Klonen mit zotteligem Haar und Grunge-Klamotten.
Serena, die bereits da ist, um sich für Jems Party zurechtzumachen, hat bestätigt, daß Emma gestern gegen Mitternacht einmal mehr mit einem zottelhaarigen Fabelwesen verschwunden ist. Wie Aschenbrödel, die Schlag zwölf den Ball verläßt, um abzuhauen und mit dem Prinzen kochendheißen, klebrigen Kürbis zu essen – nachdem er sich wieder in einen Frosch verwandelt hat.
Sie hat mehrere Plastiktüten dabei, anscheinend hat sie auf dem Heimweg bei der Altkleidersammelstelle haltgemacht. Und nachdem sie einmal geduscht und angezogen ist, sieht sie aus wie ein schlechter Abklatsch von Jim Morrison, mit weitem Hemd, passenden Schlaghosen, langem Revers und aufgemalten Koteletten. Wirklich ein bißchen wie Theo. Es ist total seltsam, sie könnten fast Zwillinge sein. Die Ähnlichkeit ist geradezu beängstigend.
»Ich wette, daß eine ganze Reihe von Freundinnen heute abend ihre Reizwäsche und ihre Strapse vermissen werden«, knurrt Serena, die sich gerade ein Paar dreckiger schwarzer Doc Martens anzieht.
Wie kommt es, daß Frauen, wenn sie sich wie Männer anziehen, bei der Unterwäsche ihres eigenen Geschlechts bleiben, Männer aber aufs Ganze gehen, wenn sie sich als Frauen verkleiden?
Tatsache ist, je unanständiger die Wäsche, desto besser. Vergessen Sie die biederen, bis zu den Achselhöhlen hochgezogenen Schlüpfer unserer Omis. Männer wollen die geballte Ladung. Warum sich mit bequem sitzender Baumwolle begnügen, wenn man Satin mit Spitze und Rüschen und natürlich ohne Schlitz haben kann?
Mein Problem war zu entscheiden, was ich tragen soll, weil ich ja nicht länger einen Freund habe, von dem ich Sachen stibitzen kann. Ich könnte mir etwas von meinem Vater leihen, aber seine Sachen sind mir vier Nummern zu groß, und er steht auf eine merkwürdige Art von Countrystyle-Hosen mit erlesenen Karos. Bitte fragen Sie mich nicht, warum, so ist er halt. Er sieht aus wie Bob Hoskins, der sich Rod Stewarts Klamotten ausgeliehen hat. Ich würde wie eine Witzblattfigur darin aussehen, und darum – nein, danke.
Schließlich leihe ich mir einen Anzug von Jem. Er ist mir ein bißchen zu groß, aber was soll’s, wenn David Bowie solche Schlabberteile tragen kann und damit durchkommt...
Serena hat sich die protestierende Fat Cat gekrallt und genug von ihrem Pelz erbeutet, um sich daraus einen Schnauzer und Koteletten zu basteln. Dann hat sie sich in ein Paar verwaschener Denims und in Doc Martens gezwängt, sich ein Muscle-Shirt angezogen, eine Lederkappe – mit Hengsten vorne drauf – aufgesetzt und fingerlose Lederhandschuhe übergestreift.
»Ich geh’ als Schwuler«, verkündet sie. »Auf diese Art kann ich immer noch alle Männer anbaggern.«
»Aber die Männer sind doch Frauen, also mußt du die Frauen anbaggern, die Männer sind«, erkläre ich ihr, während ich meine Caterpillars anziehe, die zwar nicht gerade zu dem Anzug passen, aber so etwa das männlichste an Schuhen sind, was ich habe.
»Mist, daran hab ich gar nicht gedacht.« Sie zieht die Handschuhe aus, setzt den Hut ab und schüttet sich dann ein bißchen kalten Kaffee über die Brust ihres weißen T-Shirts. Wir beobachten
sie erschreckt und fasziniert. »So«, grinst sie und wühlt in einer der Küchenschubladen, aus der sie einen Schraubenzieher hervorzieht. Jetzt geh ich als Bauarbeiter, das ist viel besser, weil die sowieso lüsterne Schweine sind.«
»Dann brauchst du aber auch das Hinterteil von ’nem Bauarbeiter«, bedeutet ihr Emma.
»In der Jeans? Du machst wohl Witze? Die ist viel zu eng. Was meint ihr?« Sie bewundert ihre unechte Gesichtsbehaarung in der spiegelnden Metallfläche des Teekessels. »Sehen wir überzeugend nach Männern aus?«
»Wir sehen aus, als wollten wir zu einem Lesbentreffen«, seufzt Emma.
»Trotz der Haare?« Serena deutet auf ihren Schnurrbart.
»Die machen es noch schlimmer«, erwidere ich. »Du siehst einfach aus, als hättest du dich – rein aus Prinzip – die letzten sechs Monate geweigert, dein Gesicht zu enthaaren.«
In einem Taxi machen wir uns auf den Weg zu meinem Bruder. Serena sinnt auf Rache für alle Frauen und pfeift jedem Mann, den wir kreuzen, aufreizend hinterher. Der Taxifahrer wirft uns im Rückspiegel halb bewundernde, halb
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