Wachgeküßt
Plastikregenkappe wie bei einer schrumpeligen Schildkröte, die sich in ihren Panzer zurückzieht.
Jems bester Freund Martin, der eine beängstigend echt aussehende Marlene Dietrich abgibt – mit Zylinder, Frack, Netzstrümpfen und einem Gehstock mit Silberknauf, den er schwingt – schnappt sich Jems rosa Federboa, klebt sich zwei Plastikbecher auf den Bustier und beginnt, durch den Raum zu marschieren.
»Vogue and Vogue...« lispelt er immer und immer wieder, als sein behelfsmäßiger, kegelförmiger BH anfängt, ziemlich heftig auf und nieder zu hüpfen, bis der Kleber nachgibt und einer der Becher nur noch traurig neben seiner kecken Schwester baumelt. Jem, der herumgeht und Getränke verteilt, gießt ein bißchen Weißwein hinein und steckt einen Strohhalm rein. Martin, der wie eine drei Tage alte Socke in einem Doc-Martens Stiefel schwitzt, gibt es auf, Marlene zu imitieren. Er läßt sich neben der Queen, die auf höchst unmajestätische Weise das Bewußtsein verloren hat und die Beine von sich streckt, wobei der Kopf seitlich baumelt und eine dünne, glitzernde Speichelspur langsam aus der einen Ecke des nicht gerade königlichen Mundes läuft, aufs Sofa plumpsen und fängt an, Wein aus seiner linken Brust zu schlürfen.
»Dreh dich nicht gleich um«, zischt Serena Emma zu, »aber ist das nicht dein Ex?«
Ich sehe in die Richtung, in die sie deutet, und entdeclce eine bläulich getönte Omi, die mit einer schnuckeligen, dünnen Blonden in Stöckelschuhen und einem kleinen, silbernen, schulterfreien Kleid redet.
Ich brauche einen Moment, bevor ich erkenne, daß die kesse Blondine eigentlich ein Kerl ist, einer von Theos langhaarigen, dünnen Musikerfreunden. Und ich brauche noch länger, um zu kapieren, daß die Omi neben ihm Emmas Ex-Freund ist.
»Das ist Theo?« frage ich ungläubig.
Ich weiß nicht, woran Serena ihn erkannt hat. Er sieht beängstigend wie Maggie Thatcher aus, weil er eines von den ausgemusterten,
taubenblauen Achtziger-Jahre-Kleidern seiner Mutter trägt. Die Schulterpolster sind so breit, daß sogar ein Hubschrauber darauf landen könnte. Die langen, wallenden Locken sind selbst gefärbt und frisiert worden und würden nun bestens zur geschmacklosesten aller Omis passen. Offensichtlich hat er sich auch noch selbst geschminkt. Es reicht vermutlich, wenn ich »blauer Lidschatten« sage.
»Was macht der denn hier?«
»Muß wohl eingeladen worden sein«, sagt Emma gleichgültig.
»Stört dich das nicht?«
»Warum denn?«
»Weil ihr beinahe zwei Jahre zusammen wart, als du mit ihm Schluß gemacht hast, und weil er es nicht mal für nötig gehalten hat, um dich zu kämpfen.« Serena schneidet eine Grimasse. »Und er hat nicht mal die leiseste Anstrengung unternommen, den Kontakt zu halten.«
»Er ist Vergangenheit.« Emma zuckt die Achseln, allerdings viel zu lässig, wie ich meine. »Is das hier ’ne Party oder was? Wir sind schon seit zehn Minuten hier und haben noch nicht mal am Alkohol gerochen. Wie wär’s mit ’nem Bier?«
Die Küche meines Bruders, die normalerweise tipptopp ist, sieht aus wie ein Schlachtfeld. Tatsache ist, daß sie aussieht, als ob der berühmt-berüchtigte Elefant nicht gerade höflich aus dem Porzellanladen gezerrt und dann laut trompetend und völlig verwirrt in einen Getränkemarkt gesteckt worden wäre.
Überall liegen Flaschen herum, volle und leere durcheinander, genug, um einen ganzen Morgen damit zu verbringen, sie in die Altglascontainer zu werfen und dabei dem befriedigenden Geräusch von splitterndem Glas zu lauschen, während sich hinter einem eine lange, aufgeregte Schlange bildet.
Der schale Geruch nach Bier mischt sich mit dem nach Zigaretten, weil die üblichen Deppen ihre Gläser als Aschenbecher benutzt haben.
»Wollt ihr was trinken?« Rupert, noch einer von Jems durchgeknallten Freunden, hat sich selbst zum Chef der Bar ernannt und ist gegenwärtig damit beschäftigt, dubiose, blaue Getränke auf der Waschmaschine zusammenzubrauen, da dort die einzige freie Fläche ist.
»Nicht das, was du da anbietest«, erwidere ich und schnüffele angeekelt an dem Zeug, das wie WC-Reiniger aussieht, der direkt aus dem Klobecken geschöpft wurde – und auch so riecht.
»Da drüben gibt’s irgendwo noch Wein.« Er deutet vage auf die unordentliche Arbeitsfläche. »Und im Kühlschrank ist Bier.
Nachdem ich reihenweise leere Flaschen in der Hand hatte, gebe ich schließlich dem Putzfimmel nach, den meine Mutter und Max mir eingeimpft
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