Wachgeküßt
erschrockene Blicke zu. Serena und Emma reagieren sofort und tun so, als würden sie miteinander schmusen, wobei sie sich gegenseitig abschlecken und übertrieben lüstern schnaufen.
Die Nummer, die vor Jems Haus abläuft, gleicht der offiziellen Eröffnung eines Transvestitenkongresses.
Der Taxifahrer sitzt mit offenem Mund da und gafft, wohl auch ein bißchen enttäuscht darüber, zurückbleiben zu müssen, wie mir scheint. Wir steigen aus dem Taxi und folgen den anderen, einer Gruppe weiblicher Rugby-Spieler, einer Nonne mit Vollbart und Gesichtstätowierung und dem vollzähligen Team aus Priscilla, Königin der Wüste, die mit Federschmuck auf dem Kopf und einer Tonne Pailletten behängt ins Haus stapfen.
Die Wohnungstür steht offen, und eine Menge bizarr gekleideter Leute strömt hinein und heraus. Sie werden lautstark von Jem begrüßt, der wie ein aufgetakeltes blondes Flittchen aussieht. Er trägt ein tief ausgeschnittenes Top im Leopardenlook, darunter zwei rosa Grapefruits als Titten, und einen schwarzen PVC-Minirock, der über dem Po spannt. Er tippelt zu uns hinüber. Seine Füße – Größe 50 – hat er in die gigantischsten, nuttigsten Stöckelschuhe gequetscht, die ich je in meinem Leben gesehen habe – schwarzer Lack, total spitz, mit einem Schleifchen an den Absätzen. So eine Art Überbleibsel aus den frühen Achtzigern. Außerdem trägt er eine pinkfarbene Netzstrumpfhose. Besonders schmeichelhaft sind die Haare, die hindurchsprießen.
»Hey, Lex! Klasse, daß du da bist. Wow, du siehst ja toll aus.« Letzteres gilt Serena, deren Muscle-Shirt die Tendenz hat, an den Seiten etwas zu verrutschen und einen Großteil ihrer 80C-Brüste zu enthüllen.
»Besorgt euch was zu trinken, steht alles in der Küche«, sagt er zu Ems und mir, dreht sich dann mit einem breiten Grinsen wieder zu Serena um und lehnt seinen stämmigen Körper in einer Pose, die, wie ich vermute, aufreizend wirken soll, an den Türrahmen seines Zimmers. »Und du kannst mir’s besorgen. Ich werde im Schlafzimmer auf dich warten.«
»Du träumst wohl.« Serena geht zielstrebig an ihm vorbei.
»Wenn, dann aber ganz schön schlüpfrige Sachen.«
»Jem! Manchmal bist du echt derb.« Emma und ich drängen uns ebenfalls an ihm vorbei und folgen Serena ins Wohnzimmer, das von Wand zu Wand mit verkleideten Leuten vollgestopft ist. Ein Mädchen stolziert von Kopf bis Fuß wie ein Rocker in Leder gehüllt durch den Raum, mit Eyeliner-Bartstoppeln und einer spiegelnden Polizistensonnenbrille. Neben dem Rugby-Team gibt es auch eine Minifußballtruppe, fünf Spieler auf jeder Seite, glaube ich, die vollständig mit Stollenschuhen aufgelaufen sind und einen Heidenlärm auf Jems Parkettboden machen.
Die meisten Frauen aber haben sich für die gleiche Lösung wie ich entschieden und einen Anzug von einem männlichen Verwandten zweckentfremdet.
Wenn ich so darüber nachdenke, dann ist die Mode ein Bereich, in dem Frauen anscheinend wesentlich besser davonkommen als Männer. Ich weiß zwar, daß es auch für Männer ein paar verdammt gute Designer gibt, aber die verschiedenen Stilrichtungen, unter denen Frauen auswählen können, sind geradezu phänomenal im Vergleich zu der Auswahl, auf die Männer sich beschränken müssen.
Traurigerweise, und trotz dieser unendlichen Fülle, die sich Mode nennt, scheinen die meisten der Männer zu denken, weibliche Kleidung bedeute zwangsweise, daß man sich in Netzstrümpfe, Stretch-Minis und Stöckelschuhe zwängt, und daß einem üppige falsche Titten aus tief ausgeschnittenen Tops baumeln. Sie trampeln fast alle auf hohen Absätzen und mit blonden Perücken rum, und das simultane Knacken verstauchter Knöchel begleitet die Hintergrundmusik wie Kastagnetten.
Ein Typ ist angezogen wie die Queen, er trägt ein Kleid mit blauer Schärpe und eine Krone aus Pappmache. Außerdem habe ich die Doppelgängerin einer bekannten Komikerin entdeckt. Plötzlich aber wird mir klar, daß das ja Jems Putzfrau ist, die sich um das Essen gekümmert hat und jetzt einen überstürzten Abgang macht, wobei sie ihre Lippen vor Mißbilligung so fest aufeinanderpreßt, daß sie Gefahr läuft, ihre dritten Zähne zu verschlucken.
Die ganze Meute fällt singend in Madonnas Vogue ein, als sie mit Höchstgeschwindigkeit auf die Tür zuschießt.
»Strike a pose!« erschallt es im Chor, und alle fangen an, wie verrückt mit den Händen herumzuwedeln – wie in dem Videoclip.
Ihr Kopf verschwindet unter ihrer gelben, faltbaren
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