Wachgeküßt
anderen, denkt aber immer noch, ich würde bei einem Quickie im Kopierraum mitspielen.
Gegen halb zwölf erscheint ein Kurier mit einem Strauß Rosen. Anbei eine Karte. »Mittagessen im La Scala um ein Uhr. In freudiger Erwartung, L.«
Das war der Moment, in dem ich beschlossen habe, daß es am sichersten ist, das Gebäude zu verlassen und zu meiner besten Freundin und einer Flasche Wein zu fliehen – oder sollte das etwa meine beste Freundin sein, eine Flasche Wein?
»Es hätte schlimmer kommen können.« Emma muß immer versuchen, in allem etwas Positives zu sehen. »Jetzt weißt du wenigstens, daß du nicht mit dieser Runzel gebumst hast, und er kann auch kein totaler Miesling sein, sonst hätte er vielleicht einfach die Situation und den Zustand, in dem du offensichtlich warst, ausgenutzt.«
»Ich denke, nicht mal Larry ist nekrophil. Aber er hatte Gelegenheit, sich alles genau anzusehen, und nachdem er die Ware einmal gesehen hat, will er sie auch ausprobieren.«
»Das kann man doch auch als Kompliment auffassen, oder?«
»Könnte man, aber ich kann’s verdammt noch mal nicht«, blaffe ich und stürze das zweite Glas Wein in einem Zug hinunter. »Warum denken Männer bloß immer, daß es ein guter Weg ist, eine Frau zu erniedrigen, um ihr an die Wäsche gehen zu können?«
»Möchtest du vielleicht was essen zu deinem flüssigen Mittagsmahl?« fragt Emma mit vor Sarkasmus und Sorge triefender Stimme.
Ich schüttele den Kopf. »Mir ist völlig übel«, antworte ich.
»Das überrascht mich nicht. Wenn man einmal die Menge Alkohol berücksichtigt, die du in den letzten Tagen in dich reingeschüttet hast... Vom Wein allein kann man nicht leben.«
Ich versuche, diese Theorie zu widerlegen, indem ich den Kellner um eine zweite Flasche bitte.
»Du kommst zu spät zurück zur Arbeit!« Emma schürzt die Lippen.
»Wen kümmert das schon?« antworte ich scharf. »Außerdem werde ich gar nicht zurückgehen«, fahre ich entschieden fort. »Nie mehr«, füge ich dann noch theatralisch hinzu.
»Nie mehr? Ist das nicht ein bißchen übertrieben?«
»Vielleicht nicht gerade nie mehr, aber heute gehe ich nicht wieder hin. Ich brauche eine Therapie. Ich gehe einkaufen. Kommst du mit?«
»Leider haben andere Leute ihre beruflichen Verpflichtungen und können nicht einfach jedesmal, wenn ihnen eine Laus über die Leber gelaufen ist, abdampfen und bei Harrods bummeln gehen«, erwidert Emma betont langsam und sarkastisch. Sie steht auf und nimmt ihre Jacke von der Stuhllehne.
»Ich muß zurück an die Arbeit. Gib nicht zuviel -«
»Ich geb soviel aus, wie ich will«, sage ich trotzig. »Ist schließlich mein Geld.«
Sie seufzt und schüttelt den Kopf.
»Ich wollte sagen, du sollst nicht zuviel darauf geben, was Larry sagt oder denkt. Was passiert ist, ist passiert. Es ist doch besser, etwas zu bedauern, was man getan hat, als zu bedauern, etwas nicht getan zu haben. Außerdem verarscht er gerne andere Leute. Wahrscheinlich freut er sich diebisch über jede Minute, in der du dich unwohl fühlst. Diese Genugtuung solltest du ihm nicht gönnen. Mach’s gut, Babe.« Sie drückt mir einen zärtlichen Kuß auf die Wange. »Bis heute abend. Keep smiling, okay?«
Die nachmittägliche Einkaufstherapie entpuppt sich als nachmittägliche Anti-Einkaufstherapie.
Die Straßen sind verstopft mit rangelnden Schulkindern, die gerade Ferien haben. Manche von ihnen sind allein unterwegs, andere werden von ihren beunruhigten, zähneknirschenden Eltern begleitet. Es regnet. Ich werde naß. Danach knallt die Sonne erst recht, und plötzlich ist es viel zu heiß. In einer Apotheke kaufe ich ein paar Kleinigkeiten für gerade mal fünf Pfund und vergesse dafür meine achtzig Pfund teure Sonnenbrille, die natürlich auf Nimmerwiedersehen verschwunden ist. Ich fange mit irgendeiner Omi einen Streit wegen einer Bluse an, einem Einzelstück, setze mich durch, kaufe das verdammte Ding, und plötzlich frage ich mich, warum ich auch nur im entferntesten daran denke, sie zu tragen, wenn eine Omi mit blaugetönten Haaren sie unbedingt haben will. Dann entdecke ich die süßeste, bezauberndste Hose, die ich je in meinem Leben gesehen habe, aus weinrotem, flauschigem Baumwollstoff. Der Schnitt muß von einem Künstler stammen, und der Preis ist für meine Verhältnisse durchaus akzeptabel – aber dann muß ich feststellen, daß gerade das letzte Modell in meiner Größe verkauft worden ist und daß es auch nicht mehr nachgeliefert wird, nie
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