Wachgeküßt
trinke.
»Möchtest du noch einen Martini, Alice?«
Falsch.
Ich nicke. Das ist so ziemlich das einzige, was ich tun konnte, seit ich hier angekommen bin. Das und heimlich gähnen.
»Würdest du mir ein Bier mitbringen, wenn du schon zur Bar gehst? Ich muß mal eben wohin.«
In Anbetracht der Tatsache, daß ich schon die erste Runde geschmissen habe, füge ich der langen Liste seiner Fehler noch ein »geizig« hinzu und ringe mit mir, ob ich nicht einfach abhauen soll, bevor er vom Klo zurückkommt.
Zu spät. Er pißt wohl genauso schnell, wie er redet. Ich taste noch unter dem Tisch nach meiner Handtasche, da sehe ich ihn schon wieder auf mich zukommen.
»Sorry, ich hab vergessen, dir das hier zu geben.« Sagt’s und wirft eine Zwanzigpfundnote auf den Tisch, wobei er entschuldigend lächelt. »Bin gleich wieder da.«
Na gut, er ist gar nicht so geizig. Aber trotzdem ist er ein Arschloch,
und ich sitze jetzt fest, oder? Ich kann ja schlecht mit seinem Geld in der Hand einfach ’nen Abgang machen. Insgeheim verfluche ich meine sogenannte beste Freundin, kämpfe mich durch die lärmende Menge bis zur Theke vor und verschaffe mir ein wenig Genugtuung, indem ich dem nervösen, jungen Barkeeper bei der Bestellung auf betont männliche, lüsterne Art und Weise zuwerfe: »Aber eine ordentliche Portion, Süßer.«
Im Laufe des Abends bessert sich Mason etwas.
Dummerweise scheinen seine Fortschritte mit meinem zunehmenden Alkoholpegel in Zusammenhang zu stehen. Ich lehne mich einfach zurück, höre zu und trinke verdammt viel. Je mehr ich trinke, desto weniger kriege ich mit, aber gegen halb zehn habe ich es doch geschafft herauszufinden, daß seine Lieblingsfarbe Blau ist, daß der Mädchenname seiner Mutter Lang ist, daß er nur Armani trägt, im Moment einen Saab fährt, aber einen Mercedes kaufen wird, sobald die neuen Modelle draußen sind, daß er ein Einzelkind ist, drei Sprachen spricht, achtzig Mille im Jahr verdient, ein Apartment in Chelsea hat, allergisch gegen Käse ist, daß der Onkel des Ehemanns der Schwester der besten Freundin seiner Mutter Lord Snowdon ist, daß er Politik haßt, daß die Frau seiner Träume ein fünfzehnjähriges, französisches Model ist, von dem ich noch nie gehört habe, daß er in den vergangenen zwölf Jahren mit zweiunddreißig Frauen geschlafen hat und daß er immer noch denkt, ich heiße Alice.
Als ich einmal mehr zur Theke marschiere, mache ich Nägel mit Köpfen, lasse das mit den Gläsern und kaufe mir gleich eine ganze Flasche Weißwein, die ich im Verlauf der nächsten Stunde bis auf den Grund leere.
Ich lulle mich in meine alkoholischen Ohrwärmer, und Mason wird zu einem auf- und zugehenden Mund ohne Stimme.
Bla, bla, bla, bla. Seine Lippen bewegen sich, als wären sie ferngesteuert, aber ich höre ihm gar nicht mehr zu. Das erinnert mich
an meine Schulzeit. Das einzige, worin ich wirklich gut war, war so auszusehen, als würde ich aufmerksam zuhören, während ich doch in Wirklichkeit in eine ganz andere Welt abgedriftet war. Beglückt plappert er weiter, während ich einen auf taubes, nickendes Hündchen mache, das ein Alkoholproblem hat.
Um mir die Zeit zu vertreiben, gehe ich einer meiner Lieblingsbeschäftigungen nach: Ich erfinde die Werdegänge der Leute, die um mich herum sitzen, neu, wobei ich einzig nach dem äußeren Erscheinungsbild gehe. Das ist zwar verdammt unfair, aber auch verdammt lustig.
Gegen halb elf habe ich beschlossen, daß das Mädchen mit den geblümten Leggings, der bestickten Bluse, den goldbraunen, hüftlangen Haaren, der ledernen Bikerjacke und den Doc Martens ganz offensichtlich ein Kind der Liebe zwischen Sandy Shaw und Meatloaf ist, eine aufstrebende Sängerin wie ihre Eltern, die sie wegen ihrer Liebe zum Grunge enterbt haben. Aber auch, weil sie denkt, der beste Weg nach oben ist der, ihrem Manager auf dem Rücksitz seiner überlangen Limousine einen zu blasen. Daher kommen auch die vollen, rosigen Lippen, die einer vollerblühten Fuchsie gleichen – vom vielen Blasen.
Der Typ mit dem Stoppelhaar und dem Moss-Bros-Anzug führt ein Doppelleben. Tagsüber mimt er den geschniegelten Buchhalter, aber nach Mitternacht legt er seine Strumpfhalter ab, zieht sich etwas Glitzerndes aus Lycra an und zischt dann ab nach Soho, um in einem dieser Käfigteile, die man an exponierten Punkten über der Tanzfläche in zwielichtigen Boogie Bars hängen sehen kann, die Nacht durchzutanzen.
Der kleine, fast glatzköpfige Chinese an dem
Weitere Kostenlose Bücher