Wachgeküßt
entscheide mich schließlich für den Typ im blauen Hemd, weil er derjenige mit den wenigsten Negativpunkten ist.
Er fetzt immer noch über die Tanzfläche. Also genehmige ich mir noch ein paar Gläser, um mir Mut anzutrinken, warte, bis ein Stück kommt, das ich mag, und nehme es dann in Angriff. Ich komme mir vor wie ein Kamikazeflieger, der in den sicheren Tod geht. Wenn ich die Augen zumachen könnte, würde ich es tun, aber wahrscheinlich falle ich dann hin.
Ich kann nicht einfach die direkte Hüft-Hand-Technik von
Eric anwenden. Deshalb tanze ich so dicht wie nur möglich an ihn heran, bis er schließlich bemerkt, wie ich – einem lästigen, kitzelnden Grashalm gleich – hinter ihm rumhüpfe, und sich umdreht, um mich anzusehen.
Ich lächele matt, atme dann tief durch und lege einfach los.
»Na? Wie wär’s mit einem Tänzchen?« Hört sich verdammt komisch an, so aus meinem Mund.
Er mustert mich von oben bis unten wie etwas, in das er gerade reingetreten ist.
»Zieh Leine.«
Er wendet sich wieder seinen Kumpanen zu, die schallend lachen.
Wo ist das Mäuseloch, in dem ich mich verkriechen kann?
Die Erniedrigung trifft mich wie ein Schlag ins Gesicht. Ich ziehe mich eiligst zurück und verschwinde auf dem Damenklo, das Gesicht röter als der Hintern eines Pavians.
Es ist fast zwei Uhr früh. Endlich bringe ich soviel Mut auf, die Toiletten zu verlassen, wo ich die vergangene Stunde verbracht habe. Mein Gesicht gleicht noch immer einem glühenden Holzkohlegrill. Mit eingezogenem Schwanz schleiche ich zurück in den Saal. Gott sei Dank leert er sich allmählich, auch dieser Fiesling mit dem blauen Hemd ist verschwunden.
Meine Leute kommen allmählich zum Ende ihres Trinkgelages, das den ganzen Tag gedauert hat.
Rodneys Füße schleifen. Er stützt sich mit dem Gesicht ab, das im Ausschnitt einer sturzbetrunkenen Blondine steckt, die wie die Schauspielerin Diana Dors in jungen Jahren aussieht.
Harvey und Jenny stehen immer noch engumschlungen da. Sie sehen aus wie die zwei Hälften einer geflochtenen, verdrehten Brezel.
Der Große Eric verspricht gerade einer üppigen Brünetten, sie zu fotographieren und auf Seite drei herauszubringen.
Unser hübscher Junior Nigel hat seinen Magen wieder runtergeschluckt und bildet jetzt den Mittelpunkt einer Gruppe betrunkener, kichernder Mädchen, die davon überzeugt sind, er wäre der Popstar Peter André.
Sogar Sandra wird von dem Türsteher zugequatscht, der aussieht wie Bluto.
Alle haben ihren Spaß.
Alle außer mir.
»So ganz allein?« sagt eine Stimme neben mir.
Damien.
»Sieht ganz so aus«, seufze ich, versunken in die Erkenntnis meines Versagens.
»Ich würde dich ja noch auf einen Drink einladen, aber ich glaube, wir stehen kurz vor dem Rausschmiß.«
»Macht nichts. Ich hatte sowieso dreimal mehr, als ich vertrage.«
Einen Moment lang verfallen wir in geradezu einvernehmliches Schweigen. Damien und ich tolerieren uns gegenseitig. Ich bin der Ansicht, daß Damien ein ziemlicher Blödmann ist, und er weiß das. Wir kommen gut miteinander aus, solange wir nicht miteinander reden.
»Es wird nicht mehr das gleiche sein, wenn der alte Rodders nicht mehr am Steuer sitzt.« Er deutet mit dem Kopf auf Rodney.
»Na ja, viel gesteuert hat er ja nicht gerade, oder?« gebe ich zurück. »Das ist ein bißchen so, als würde man die Galionsfigur von einem Schiff abnehmen. Man kann trotzdem problemlos weitersegeln, und nach einer Weile vergessen die Leute, daß je eine da war.«
Ein bißchen wie mit Max. Die gute, alte Alex wird schon nicht untergehen, nur weil diese Ratte ausgekniffen ist. Ich schnappe mir Damiens Flasche Budweiser und stürze sie runter.
Schließlich teile ich mir mit ihm, Harvey und Jenny ein Taxi für die Heimfahrt.
Die beiden Turteltauben harren die ganze Fahrt über mit aufeinandergepreßten Lippen aus, wie zwei miteinander kämpfende Saugglocken. Sie schlecken sich über die feuchten, glitschigen Zungen wie Kinder, die an schmelzenden Eistüten schlabbern.
Unangenehm berührt schaue ich aus dem Seitenfenster, während Damien, der immer auf der Suche nach einer guten Story ist, sich mit dem Taxifahrer über irgendwelche Berühmtheiten unterhält, die er mal gefahren hat, in der Hoffnung, daß dabei irgend etwas Schmutziges ans Licht kommt.
Harvey und Jenny steigen zusammen aus, obwohl ich genau weiß, daß sie überhaupt nicht in Harveys Nähe wohnt. Nachdem sie im Büro umeinander herumgeschlichen sind, sich gegenseitig
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