Wachgeküßt
dem Klo zu verstecken. Sei wie ein Mann!«
Entschlossen lege ich noch ein bißchen Lippenstift auf, öffne zwei weitere Knöpfe an meinem Oberteil, so daß bei jeder Bewegung der schwarze Spitzen-BH zu sehen ist, und kehre zurück zu meiner Mission.
Die anderen sind in absoluter Partylaune.
Rodney tanzt mit Sandra zur Musik von Sash und blickt dabei breit grinsend um sich, wie ein alter Zuchthengst, den man zum Grasen auf eine Weide voller springlebendiger Stutenfohlen gelassen hat.
Sandra steht mit beiden Füßen wie angewurzelt auf demselben Fleck und wiegt ihren kräftigen Körper im Rhythmus der Musik – eine Art Zentrum für den frenetisch um sie kreisenden Ping-Pong-Ball Rodney.
Rodney kann nicht tanzen. Jedenfalls nicht in der heutigen Zeit. In den Siebzigern ist es ihm wahrscheinlich noch gelungen. Diese Kombination aus Seitschritt, Rückschritt, Seitschritt, Rückschritt, die er da vollführt, würde recht gut zu so etwas wie Saturday Night Fever passen, wenn er dazu auch ein bißchen die Hände bewegen und die Finger verdrehen würde.
Sein über den Kopf gekämmtes graues Haar wird allmählich dunkel vom Schweiß, und seine Stirn glänzt feucht unter den Lasern, die über ihm zucken und schwenken.
Zum ersten Mal in seinem Leben hat er sein obligatorisches Jackett ausgezogen. Der Schlips hängt auf Halbmast, und in den Achselhöhlen zeichnen sich große, dunkle Schweißflecken ab. Aber das ist ihm egal, denn heute ist sein großer Abend.
»On kor üüün fwaa.« Laut grölend singt er den Text mit und beäugt gleichzeitig hochbeglückt die hüpfenden Busen der frenetisch rings um ihn tanzenden jugendlichen Schönen, wie ein Schokoholic, den man zum ersten Mal in der lila Milkawelt losläßt.
Lucian trägt noch immer seine Radlershorts, heute in fluoreszierendem Orange, dazu Doc Martens und ein dünnes Designer-Rippenshirt von Paul Smith, und er stolziert über die Tanzfläche wie ein Ballettänzer. Sandra wirft ihm ab und zu bewundernde Blicke zu, sie weigert sich zu glauben, daß »so ein hübscher Junge« schwul sein kann.
Der Junior Nigel, Damien und der Große Eric, unser Fotograf, sind gerade dabei, an einer der zahlreichen Theken ihre eigene Version eines Tequila-Wettkampfes auszufechten.
Salz auf die Hand, schleck, Zitrone auslutschen, Tequila kippen.
Alle zugleich, wie ein Team beim Synchronschwimmen, das in den Alkohol abtaucht.
Ich bin mir nicht sicher, ob sie auch wirklich die richtige Reihenfolge beibehalten, aber das scheint ihnen egal zu sein.
Junior Nigel sieht eindeutig grünlich im Gesicht aus. Er kämpft tapfer, um mit seinen älteren, erfahreneren Kumpanen mithalten zu können. Er kommt auch ganz gut zurecht, bis ihn irgendeine freundliche Seele auf den Wurm am Flaschenboden aufmerksam macht. In dem Moment nimmt seine Haut den allererstaunlichsten Pistazien-Grünton an, er preßt eine Hand auf den Mund und sprintet schneller zur Tür mit der Aufschrift »Männer«, als sich ein Schnäppchenjäger am ersten Tag des Winterschlußverlcaufs ins Gewühl stürzt.
Harvey, der seit seinem ersten Arbeitstag bei uns ein Auge auf Jenny geworfen hat, hat allen Mut zusammengenommen und sie zum Tanzen aufgefordert. Jetzt wirft er gerade dem DJ bettelnde Blicke zu, damit dieser ein paar langsame Nummern spielt. Rodney nimmt ihm die Arbeit ab, weil er einer schlanken Blondine hinterherwill, die einen glitzernden Silberbikini, Lycra-Strumpfhosen, hochhackige Westwood-Sandalen und sonst gar nichts trägt. Statt dessen rempelt er Jenny an und katapultiert sie geradewegs in Harveys wartende Arme. Trotz des Tempos verharren sie auch weiterhin so, mit geschlossenen Augen und entrücktem Gesichtsausdruck.
Ich versuche, möglichst lässig an der Bar zu sitzen, während ich mich nach geeigneten Kandidaten umsehe.
Das Leben wäre so viel einfacher, beschließe ich nach einem Rundblick durch den Saal, wenn ich mich nicht immer so anstellen würde.
Ich weiß auch, daß ich nicht gerade Miss World bin. Und ich habe mich wiederholt gefragt, welches Anrecht ich darauf habe, so wählerisch zu sein. Aber so bin ich nun mal.
In meinem Kopf läuft das Ganze ungefähr so ab.
Der ist nicht schlecht, schöne Haare, schöne Arme, aber die Augen stehen etwas zu eng beinander. Außerdem sind sie braun. Ich glaube, ich mag keine braunen Augen.
Hm, der da ist ganz okay. Ach, doch nicht, der hat so einen komischen Mund. Wenn er anfängt zu lachen, sieht er aus wie Freddy Mercury, und den mochte ich noch nie.
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