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Wachgeküßt

Wachgeküßt

Titel: Wachgeküßt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Harvey
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pathetischen Seufzer aus, greift nach meinem Löffel und taucht ihn in die geschmolzene Eiscreme, die auf meinem Kopf thront. »Einfach die Hölle!«

5
    Montagmorgen. Ich packe die üblichen Utensilien – Diktiergerät, Laptop und ausreichend Gepäck für einen Monat – in den Kofferraum meines Ford Fiesta.
    Obwohl ich beruflich dauernd verreisen muß, gehöre ich nicht zu den Menschen, die einfach ein paar Kleidungsstücke und einige Accessoires in einen Koffer werfen können und dann für jede Gelegenheit gerüstet sind. Ich packe immer zuviel Kleidung ein, so daß ich mehr als doppelt soviel habe, als ich für den jeweiligen Zeitraum brauche, und für jede Eventualität gerüstet bin. Wenn ich mich in die Arktis zum Hundeschlittenfahren begeben würde, ich würde garantiert einen Bikini einpacken, für den tropischen Strandurlaub auf den Seychellen würde ich einen Wollpulli und meine Wärmflasche mitnehmen – man weiß ja nie.
    Das Wetter in den Cotswolds ist nicht gerade tropisch – es sei denn, man denkt an tropische Regenwälder anstelle von tropischen Stränden. Ein feiner Sprühregen begleitet mich den ganzen Weg über die M40, und erst als langsam die Dämmerung einsetzt, kämpft sich die freundliche Aprilsonne durch die Wolken, um die liebliche Landschaft um mich herum zu bescheinen. Ihre Strahlen saugen die glitzernden Wassertropfen auf, die überall glänzen, wie verschütteter Champagner.
    Trotz meiner ablehnenden, widerspenstigen Einstellung dieser Reise gegenüber verbessert sich meine Laune mit jedem Kilometer, den ich weiter nach Warwickshire hineinfahre.
    Ich hatte ganz vergessen, wie wunderschön dieser Teil der Welt doch ist.

    Die großartige Landschaft um mich herum beeindruckt mich so sehr, daß ich sogar den Klassiksender einstelle und das Ganze noch mit ein bißchen Vivaldi unterlege.
    Als ich dann schließlich das Hotel erreiche, bin ich in der richtigen Stimmung für ein wenig imposante Pracht. Sie wissen schon, was ich meine: eine lange Auffahrt, die Mr. Darcy wie in Stolz und Vorurteil auf seinem schweißbedeckten Roß entlanggaloppieren kann; zauberhafte Gartenanlagen, in denen Jane Eyre mit ihrem Mr. Rochester spazierengehen kann; efeuumrankte Schlafzimmerfenster, zu denen ein hoffnungslos verliebter romantischer Held hinaufklettert.
    Ich werde nicht enttäuscht.
    Als ich das Hauptportal des Hotels The Priory erreiche, über das ich eine Besprechung schreiben will, empfängt mich eine lange, kurvenreiche Auffahrt, die von dunklen Bäumen wie von Wächtern gesäumt wird. Es kreuzt zwar kein Darcy auf seinem Vollblut meinen Weg, während ich die Allee entlangfahre und das Anwesen rund um mich herum bewundere, aber dieser Ort ist trotz allem sehr romantisch.
    Die Auffahrt führt zu einem großen alten Haus aus Sandstein, die Butzenscheiben der Fenster spiegeln das goldene Licht in der Dämmerung des frühen Abends.
    Ein Portier mit grüngoldener Livree eilt aus dem Haus herbei, um mir mit dem Gepäck behilflich zu sein, wartet geduldig, bis ich eingecheckt habe, und führt mich dann über den linken Flügel des reichverzierten Treppenhauses zu einem im Renaissancestil dekorierten Zimmer, das ein Himmelbett hat und auf einen umfriedeten Blumengarten zeigt, in dem sich sogar ein Springbrunnen befindet. Darüber steht auf Zehenspitzen Cupido, der in hohem Bogen pinkelt und direkt auf mich zielt.
    Wäre ich ein Location Scout und würde Drehorte für Filme aussuchen, dann würde ich angesichts dieses Ortes in Verzückung geraten. Da ich aber Schriftstellerin bin, gerate ich in
eine völlig übersteigerte Verzückung, gebe dem Portier ein völlig überzogenes Trinkgeld und greife zu meinem Laptop.
    Ich kann es nicht glauben, daß die Zeitung mich endlich mal an einen Ort geschickt hat, der es wert ist, besucht zu werden. Rodney muß wohl zum Abschied sein Budget einmal großzügig gehandhabt haben.
    Als dem Thesaurus auf meinem Computer die Synonyme für bezaubernd ausgegangen sind, nehme ich eine Dusche, ziehe mir das obligatorische kleine Schwarze an und begebe mich nach unten in den eichenholzgetäfelten Speisesaal zum Abendessen.
    Ich habe berufsbedingt schon an so vielen Orten allein zu Abend gegessen, daß mich das in der Regel überhaupt nicht mehr stört. Doch andere Menschen scheinen das viel verwirrender zu finden als ich. Eine Frau, die allein ißt, scheint die gleiche Wirkung auf ein Restaurant zu haben wie eine junge Mutter, die in der Öffentlichkeit ihre Brust entblößt,

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