Wachgeküßt
ihr Schreibtisch blitzblank ist.
Normalerweise muß man Mary hinter Stapeln von Kochbüchern, Freiexemplaren, welken Topfpflanzen und aufeinander getürmten, überquellenden Ordnern suchen, in denen sie Anregungen und Rezepte sammelt.
»Mare! Was um Himmels willen geht hier vor?«
»Hi, Lexy!« Mary schaut auf, ihre goldbraunen Locken hüpfen, und sie grinst. »Willkommen in unserem brodelnden Bienenstock.«
»Sehe ich das richtig, daß wir all das hier dem neuen Boß zu verdanken haben?« Ich deute mit der Hand auf den besagten Bienenstock.
Sie nickt.
»Klar.«
»Wow, dieser neue Besen scheint ja echt gut zu kehren, hm?«
»Der ist kein neuer Besen«, kichert Mary. »Der ist einer von diesen Überschallstaubsaugem mit ganz viel Zubehör. Brrrrm!« brummt sie scherzeshalber.
»Wie ist er denn?«
»Wundervoll.« Sie deutet auf die Wand hinter ihrem Kopf, wo das wirre Durcheinander ihres Arbeitsplatzes nun ordentlich gestapelt auf Brettern aus geschnitzter Buche steht. »Siehst du, er hat mir Regale besorgt. Ich habe Rodney so oft gefrag... nein, ich habe gebeten und gebettelt, daß er mir ein paar Regalböden besorgt, zwei Jahre lang habe ich das, solange ich hier bin... und nur eine Woche, nachdem Jack Daniels hier angefangen hat, sind sie da. Läutet’s da bei dir?«
»Jack Daniels? Das ist doch nicht dein Ernst, oder?«
Sie lacht und schüttelt den Kopf.
»Aber das ist ein Whisky.«
»Weiß ich. Und er ist genauso feurig, das kannst du mir glauben!«
»Wo ist Damien?«
»Bei einem Vortrag. Kommt erst nächste Woche wieder. Warum?«
Uff. Eine kleine Gnadenfrist.
»Ach, nichts. Ich wollt’s halt nur wissen.« Ich kauere mich auf die Ecke von Marys Schreibtisch und überlege, ob ich nachhaken oder lieber abwarten soll, um zu sehen, ob er etwas gesagt hat. Wenn dem so ist, dann wage ich zu behaupten, daß ich es eher früher als später herausfinden werde. Da aber Warten noch nie zu meinen Stärken gehört hat, beschließe ich nachzuhaken.
»Maaary...?« Ich gebe meiner Stimme einen Unterton, der besagen soll, daß ich nicht neugierig sein, es aber trotzdem wissen will. »Hat Damien zu irgend jemandem irgendwas über – äh, über Rodneys Abschied gesagt?«
»Nichts, außer daß er behauptet hat, er hätte sich an Glendas Krabbenzeug den Magen verdorben. Er ist dann auch ein paar Tage nicht gekommen. Warum?«
»Ach, nichts.« Ich rutsche vom Tisch runter und steuere meinen eigenen an. »Gar nichts. Bis später.«
Irgend jemand hat sich mit Scheuerpulver an meinem Platz zu schaffen gemacht. Mein Computer, der normalerweise aussieht, als hätte er sich gerade im Dreck gewälzt, und in einer Wolke aus Elektrosmog steht, glänzt wie neu. Er ist cremefarben. Es ist mir nie aufgefallen, ich habe immer gedacht, er wäre von einem dreckigen Beige. Das Alpenveilchen, das die letzten sechs Monate in einem traurigen, verwelkten, totenähnlichen Zustand auf meinem Tisch gestanden hat, ist verschwunden und durch ein großes, quietschgrünes, überaus lebendiges Teil mit glänzenden Blättern ersetzt worden, das ein bißchen an eine Kreuzung aus einer Hanfpflanze und einem Pfennigbaum erinnert. Könnte
gut für die Moral der Truppe sein. Dope oder Knete im Eigenanbau.
Auf meinem Schreibtisch steht sogar ein Körbchen, ein kleines, rotes, rundes Ding, in das irgendeine gute Seele meine geklauten Kulis und die Kette aus Büroklammern gelegt hat.
Was für eine seltsame Erfahrung, für eine Woche wegzufahren und in eine völlig veränderte Umgebung zurückzukommen. Irgendwie verwirrend. Ich komme mir vor wie in einem Remake des Films Die Frauen von Stepford. Der Titel lautet: Die Schreiber linge von Stepney - eine Kombination aus Stepford und Rodney.
Der neue Boß ist offensichtlich ein ganz Flotter. Den Gerüchten zufolge ist er irgendein hohes Tier, das hierher geschickt worden ist, um uns alle mal ein bißchen wachzurütteln. Wie es aussieht, behält die Gerüchteküche dieses Mal recht. Ich erkenne meine Kollegen kaum wieder, wie sie so durchs Büro flitzen und beschäftigt aussehen. Ich weiß ja, daß beschäftigt aussehen zu den Sachen gehört, die sie im Laufe der letzten Jahre zur Perfektion gebracht haben, ohne je wirklich beschäftigt zu sein, aber jetzt scheint es wirklich zu stimmen.
In den asiatischen Ländern gibt es ja bekanntlich einige recht seltsame Praktiken zur Motivationssteigerung. Vielleicht hält er uns alle jeden Morgen zu gemeinschaftlicher Gymnastik und zu Singübungen an, bevor
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