Wachgeküßt
aus Baisermasse, Himbeeren und Sahne auf.
»Der neue Boß natürlich.«
»Hast du ihn etwa noch nicht gesehen?«
»Ich war doch gar nicht hier.«
»Ich weiß, du hast mal wieder eine Spritztour gemacht«, seufzt sie voller Neid. »Was würde ich nicht alles dafür geben, wenn ich meine Leserrezepte und Geschmackstests gegen deinen Job tauschen könnte.«
»Wenn’s um Schokotorten mit Schokoguß geht, tausche ich gerne meine zwei Tage in dem schottischen Wintersportkaff Aviemore nächsten Monat dafür ein.«
Voller Mitleid rümpft sie die Nase.
»Ich beschäftige mich gerade mit dem perfekten Picknick, weil sich das Wetter jetzt wieder bessert. Vielleicht könntest du beides kombinieren und mir die Mühe ersparen. Motto: Aviemore al fresco?«
»Ich weiß nicht, ob das paßt. Jedesmal, wenn ich nach Schottland fahre, regnet es. Wie wär’s also mit Picknick unterm Regenschirm?«
»Hallo, Kinderchen!« ruft eine melodische Stimme quer durchs Büro. Das ist Astro-Astrid, die Astrologin des Hauses, die die Horoskope für diese Woche vorbeibringt.
Obwohl sie auf ihrem Kolumnenfoto wie eine Zigeunerin gestylt ist, ist Astro-Astrid in Wirklichkeit eine völlig normale Frau aus dem Stadtteil Neasden mit Namen Nuala – eine charmante, hübsche Dubliner Exhausfrau in mittleren Jahren, die lässig in Sweatshirt, Bluejeans und Leinenschuhe gekleidet ist. Sie sieht ungefähr so mysteriös aus wie ein Vorstadtsupermarkt.
Wie üblich will jeder sein Horoskop für die kommende Woche lesen. Ich schnappe mir meines.
Widder: Neptun steht im Zeichen der Sonne. Sie müssen in nächster Zeit mit einigen Schwierigkeiten rechnen. Als ob ich das nicht längst wüßte. Aber erheben Sie sich über den Sturm, und bieten Sie ihm die Stirn. Sehr geistreich, Nuala. Stellen Sie sich auf eine Woche voller Überraschungen ein. Die Leidenschaft erwartet Sie dort, wo Sie am wenigsten damit rechnen.
»Ich weiß nicht, warum du die immer liest«, brummelt sie mit ihrem weichen, irischen Akzent. »Das ist nur ein Haufen verdammter Unsinn. Ich muß es doch wissen, ich schreibe die verdammten Dinge ja schließlich. Macht mir vielleicht mal jemand ’ne Tasse Tee? Ich hab Stunden in der verdammten U-Bahn gesteckt und bin so ausgedörrt wie eine Wüstenoase.«
Leidenschaft, wo ich sie am wenigsten erwarte, ja? Vielleicht sollte ich mal anfangen, mich anderswo aufzuhalten. Ich weiß, daß die üblichen Aufreiß-Schuppen Pubs, Clubs, rund um die Uhr geöffnete Waschsalons und das Kaufhaus Sainsbury’s sind, aber wenn ich den Punktestand an meiner Schlafzimmertür erhöhen will, sollte ich mich vielleicht zum Lamareiten aufmachen, Schnitzeljagden in der Retortenstadt Milton Keynes veranstalten oder mich im Bungee-Jumping von der Tower Bridge versuchen.
Und was hat es mit den Schwierigkeiten in der nächsten Zeit auf sich? Sollte das vielleicht eine Anspielung auf den geheimnisvollen Jack Daniels sein? Werde ich etwa wirklich arbeiten müssen, um meinen Job zu behalten?
»He, Nuala«, rufe ich ihr zu, »was hat die Woche denn für Widder arbeitsmäßig in petto?«
»Oh, da sieht’s ganz düster aus...«, ruft sie zurück und wendet sich dankbar Sandra zu, die gerade mit einem Teewagen gekommen ist.
»Wirklich?« Mir sinkt das Herz in die Hose.
»Wie soll ich das denn verdammt noch mal wissen?« Sie lacht. »Aber wenn du nicht gleich an deinen Schreibtisch gehst und zu
arbeiten beginnst, bevor Mr. Daniels aus seiner Höhle kommt, brauchst du keine Wahrsagerin, um vorherzusehen, daß du in ernsthafte Schwierigkeiten gerätst.«
Sandra kommt durch den Raum gerollt, der Teewagen rattert über den blaßblauen Teppichbelag. In einer Schale stapeln sich verführerisch aussehende, glänzende Scholcolädchen. So etwas hat es an diesem Ort, wo es schon als absolut exotisch gilt, trockene Butterkekse zum Tee zu knabbern, noch nicht gegeben.
»Oooh, Schoookiii.« Ich greife zu.
Sandra schlägt mir beinahe auf die Hand.
»Die sind für Mr. Daniels«, knurrt sie.
»Daniels hört sich aber nicht gerade Chinesisch an.« Schmollend greife ich nach einem wesentlich unscheinbareren, einfachen Keks und komme damit ungeschoren davon.
Dennoch sieht Sandra mich immer noch entrüstet an, aber nicht wegen des gemopsten Kekses.
»Das ist er auch nicht.«
Ich bin etwas verwirrt.
»Man sollte doch meinen, eine Reisejournalistin weiß, daß man nicht unbedingt Chinese sein muß, um in Hongkong zu leben und zu arbeiten«, sagt sie steif und stolziert in einer
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