Wachgeküßt
Exemplar, zuletzt gesichtet um 1992, ein Unikat von unschätzbarem Wert.«
Emma hält den Kopf schräg, während sie mich beobachtet, und umschleicht mich wie eine große, lauernde Katze, die gleich zuschlagen wird.
»Du hast es getan, stimmt’s?« sagt sie schließlich und blickt mich prüfend an, als wollte sie in meinem Gesicht irgend etwas erkennen.
Ist es so offensichtlich? Ehrlich gesagt war ich versucht, mir ein T-Shirt drucken zu lassen, aber anscheinend besteht dafür keine Notwendigkeit, da man es mir wohl ansieht.
»Du hast es also endlich getan, du hast jemanden aufgerissen, stimmt’s?« fragt Emma ganz direkt.
Ich höre einfach nicht auf zu lächeln.
In Sachen mysteriöses Lächeln ist Mona Lisa gar nichts gegen mich.
»Wie war’s... wie war er... war’s gut... hat’s dir Spaß gemacht
... wer war’s...« Sie bombardiert mich geradezu mit Fragen und läßt mir gar keine Zeit, auch nur eine zu beantworten. Eigentlich braucht sie auch gar keine Antworten, sie wartet nur einfach darauf, daß dieses dümmliche Grinsen endlich aus meinem Gesicht verschwindet.
Tut es aber nicht. Nicht mal das leiseste Anzeichen eines Bröckelns zeigt sich. Das Grinsen, das fetter ist als ein Käse der Doppelrahmstufe, klebt so fest und unverrückbar auf meinem Gesicht wie der abgebrochene Henkel einer Tasse, den man mit Sekundenkleber wieder angeklebt hat. Das Grinsen bleibt erst einmal eine Weile unverändert, selbst als Emma sofort zum Telefon greift, allen unseren Freunden die gute Nachricht mitteilt und Serena zu einer feierlichen Kreidezeremonie mit Würstchen, Kartoffelbrei, Coca-Cola light und einer Million Fragen einlädt.
Erst vier Tage später verliert es ein bißchen an Glanz, als ich Montag morgen aufwache und feststelle, daß ich heute zur Arbeit muß. Dorthin, wo Glühdödel Damien lauert.
Ich schleiche mich ins Büro wie James Bond auf geheimer Mission. Die Außentemperaturen sind angenehm mild. Wir haben dieses klare, schöne Wetter, das in der Werbung immer für Weichspüler herhalten muß – man gibt einfach einen wohlriechenden Zusatz in die Waschmaschine und findet sich plötzlich in einer grandiosen Landschaft wieder.
Aber trotz dieser freundlichen, warmen Brise, von der die Pendler an diesem staubigen Londoner Montagmorgen umweht werden, bin ich ganz in ein Geheimagentenoutfit gehüllt, angefangen von meiner dunklen Sonnenbrille bis hin zu dem knöchellangen Regenmantel. Dazu trage ich Emmas Designerhut (er ist riesig und besteht aus einem nicht identifizierbaren Synthetikpelz), den ich bis über die Ohren heruntergezogen habe.
Ich weiß nicht, warum ich mich so angezogen habe. Ich habe vor, unerkannt an Damien vorbeizukommen, aber aufgrund der Tatsache, daß alle um mich herum in Sommerklamotten rumlaufen, falle ich auf wie ein Eisbär in einem Käfig voller gerupfter Papageien.
In dem kleinen Park, durch den ich auf dem Weg von der U-Bahn zum Büro spaziere, entledige ich mich des Hutes, und prompt verliebt sich ein graues Eichhörnchen in ihn. Kaum bin ich im Gebäude, merke ich, daß sich irgend etwas verändert hat. Ich weiß, daß Rodney weg ist, aber das ist es nicht.
Ich ziehe meine Sonnenbrille ab, die alles um mich herum von unserer kleinen Jenny bis hin zu den Computern gelblich aussehen läßt.
Das ist es auch nicht.
Ich fühle mich verändert. Mann, was fühle ich mich verändert. Trotz der Tatsache, daß ich mir völlig sicher bin, Damien so lange wie möglich aus dem Weg gehen zu wollen, habe ich doch noch ein ganz schönes Apres-Super-Sex-Hoch. Aber auch das ist es nicht.
Irgendwie scheint sich die Atmosphäre im Büro vollständig geändert zu haben. Die ehemalige, lässig entspannte Stimmung ist verschwunden.
Dann merke ich endlich, was es ist. Es ist zehn Uhr früh an einem Montagmorgen. Normalerweise gehöre ich zu den ersten, die ankommen, aber heute sind alle schon da, und anstelle der üblichen Grüppchen, die sich im Raum verteilen, übers Wochenende schwätzen, Kaffee trinken, lachen und Witze machen, arbeiten jetzt alle. Das meine ich ernst: Sie sitzen an ihren Plätzen, hacken auf die Tastatur ein, die Telefone klingeln, der Kopierer ist besetzt – sie arbeiten!
Da fällt es mir wieder ein. Vor zwei Wochen ist Rodney in Rente gegangen, und letzte Woche hat ein neuer Boß angefangen. Jetzt wird mir alles klarer.
Ich mache mich auf die Suche nach Mary, um Genaueres zu erfahren.
Sie sitzt an ihrem Platz.
Ich kann es deshalb sofort erkennen, weil
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