Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wachkoma

Wachkoma

Titel: Wachkoma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jasmin P. Meranius
Vom Netzwerk:
scheinen auch sämtliche Wege zu fehlen. Ein Nichts würde sicher nicht andersaussehen. Aber in Wirklichkeit sind die Wege auch bei Nebel noch da. Wir können sie nur für einen Moment nicht mehr erkennen.“
    In ihrem Zimmer angekommen, brach Beata erneut in Tränen aus. Diesmal ganz ungehemmt und ohne Zuschauer, ohne zu wissen, ob es aus Scham gegenüber Silvester war oder einfach aus ihrer Hilflosigkeit heraus.
    Lange hatte sie ihren Gefühlen nicht mehr so freien Lauf gelassen. Und es fühlte sich gut an. Als sei sie aus einem langen Schlaf aufgewacht. Auch wenn sie sich fragte, wo ihre alte Stärke geblieben war, die sich irgendwie durch nichts ersetzen ließ. Sie fühlte sich nämlich wie ein verletztes Tier, das hilflos am Waldrand liegt.
    Das Gespräch mit Silvester hatte in Beata etwas losgetreten, das bereits lange im Raum stand. Und es war gut, dass sie mit jemandem gesprochen hatte.
    Beata blieb aber trotz der gefühlten Entlastung noch ein paar Tage für sich, auf ihrem Zimmer, ruhte sich aus und versuchte, in ihre Gedanken wieder Ordnung zu bringen.
    Silvester hatte ihr gesagt, dass man im Leben manchmal stehen bleiben muss, um eine Pause zu machen und abzuwarten, bis die Seele einen wieder eingeholt hat. Und darauf hoffte Beata. Dass sie einfach nur abwarten müsse, bis ihre Seele sie wieder eingeholt hatte. Wenn sie das hatte, würde sie auch wieder das Bedürfnis verspüren, unter Menschen zu sein.
    ***

Ein paar Tage später war es dann auch da, das Bedürfnis.
    Beata ging wieder mit einem besseren Gefühl zum Essen hinunter, spazierte wieder draußen umher, saß abends lange auf der Hollywoodschaukel und wartete auf den ersten Schnee.
    Es schien alles unverändert. Der Ahorn wie auch der Himmel. Als sei nicht nur Beatas Wirklichkeit für einen Augenblick stehen geblieben, sondern auch die Welt drumherum.
    Trotz der Handschuhe machte sich Beata schließlich fröstelnd zurück auf den Weg zum Haus.
    Sie lief den Kieselsteinweg entlang, vorbei an den kahlen Beeten, in denen noch kürzlich die schönen Rosensträucher zum letzten Mal für dieses Jahr geblüht hatten, und ging über den hinteren Eingang ins Haus hinein.
    Als sie an der Rezeption ankam, spürte sie schon die Wärme des Kamins in ihrem Gesicht, die mit jedem Schritt stärker wurde.
    Das Kaminfeuer war die einzige Lichtquelle in dem stillen Raum, denn die meisten waren schon zu Bett gegangen oder zumindest auf ihren Zimmern.
    Beata ließ sich kurz in das Sofa fallen, das direkt vor dem Kamin stand, um noch für einen Moment dem Spiel der Flammen zuzusehen.
    „Es ist sehr wichtig, stehen zu bleiben und abzuwarten, bis die Seele uns wieder eingeholt hat“, hörte Beata plötzlich eine Stimme wie aus dem Nichts zu ihr sprechen.
    Und erkannte in diesem Moment, dass sie nicht alleinwar, denn auf dem Sofa gegenüber lag jemand, ohne sich zu bewegen.
    „Wer hat dir davon erzählt?“, fragte Beata hastig, während die Person sich langsam aufsetzte und das Kaminfeuer das Gesicht der Dürren zu erkennen gab.
    „Es ist sehr wichtig, stehen zu bleiben und abzuwarten, bis die Seele uns wieder eingeholt hat“, wiederholte sie sich und verschwand schließlich im Dunklen.
    Beata war mittlerweile an ihrer Zimmertür angelangt. Sie schloss sie zaghaft auf, während die Worte der Dürren in ihrem Kopf umherspukten.
    „Unfassbar!“, dachte sich Beata und lehnte sich von innen gegen ihre Zimmertür.
    Die Dürre schien zu wissen, was sie und Silvester besprochen hatten. Ohne Zweifel – er musste mit ihr darüber gesprochen haben und hatte somit ihren schwachen Moment ausgenutzt, sie getäuscht und sich in falscher Sicherheit wiegen lassen. Beata zog sich wieder einmal der Magen zusammen.
    Ohne zu wissen, weshalb ihr das so viel ausmachte, glaubte Beata, wieder in das schwarze Loch zu fallen, in dem sie die letzten Tage schon gesteckt hatte. Vielleicht fiel sie auch noch etwas tiefer – denn sie fühlte zu diesem Zeitpunkt kein wirkliches Ende.
    ***

Für die nächsten Tage hielt sie Gardinen und Türen erneut verschlossen. Dass es zwischenzeitlich klopfte, vernahm sie nicht. Dass man ihren Namen rief, ebenfalls nicht. Auch nicht, dass man sie wiederholt eindringlich bat aufzumachen. Doch sie würde Silvester die Tür nicht noch einmal öffnen.
    So wie es sich zuvor schon ankündigt hatte, waren die ersten weißen Schneeflocken gefallen. Sie überdeckten alles unter sich, wie durch einen großen Schleier.
    Beata beobachtete ihr Spiel vom Fenster aus.

Weitere Kostenlose Bücher