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Wachsam

Wachsam

Titel: Wachsam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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Licht gelöscht war. Ich habe sogar Preise gewonnen. He, was würdest du dazu sagen« – mit einem tapferen, wenngleich ein wenig synthetischen Anlauf zum Enthusiasmus –, »warum sollte ich nicht einen Versuch machen? Die Firma aufgeben, Sandra aufgeben, mein Geld aufgeben, in einer Dachkammer vergammeln … wie Renoir werden.«
    »Das war nicht Renoir. Das war Gauguin.«
    »Vielleicht würde ich es schaffen … mein Talent aus mir herauszuhungern.«
    Shamus beschäftigte sich wieder mit dem Wasserkrug, schwenkte den Finger an der Oberfläche hin und her, so wie sie am Fluß mit den Stichlingen gespielt hatten. Ein wenig ärgerlich sagte Cassidy – ein Argument, das er vor nicht langer Zeit Sandra entgegengehalten hatte –, »nun, wenn ich wirklich eine so verdammte Niete bin, warum gibst du dich dann überhaupt mit mir ab?«
    »Sag mir, Lover«, sagte Shamus sehr ernst und hob den Krug ein paar Zentimeter über den Tisch. »Ist dieses Lächeln wasserdicht?«
    Er stand auf und begann das Wasser langsam über Cassidys Kopf zu gießen, zuerst in langsamen Tropfen auf das Schädeldach, dann in immer reichlicheren Mengen, je übler seine Laune wurde. Cassidy saß ganz still und dachte deutlich an nichts; denn auch nichts ist ein Konzept, es ist weder ein Ort noch eine Person, sondern eine Leere, ein Vakuum, und eine beträchtliche Hilfe in Zeiten der Verwirrung. Dennoch registrierte er, daß das Wasser über seinen Nacken und sein Rückgrat entlang rann. Er spürte auch, wie es über seine Brust lief, seinen Magen und bis in die Leisten. Auch seine Ohren waren voll Wasser, aber er wußte trotzdem, daß die Gespräche im Lokal verstummt waren, denn er konnte Shamus’ Stimme hören und sonst keine, und der Akzent war sehr ausgeprägt.
    »Butch Cassidy, Sohn des Dale, sintemalen du aufrichtig dein dümmliches Gehabe bereust und fest versprichst, allezeit den Pfaden der Wahrheit, der Erfahrung und der Liebe zu folgen, taufen wir dich hiermit im Namen des …«
    Er hörte auf zu gießen. Da er glaubte, der Krug sei leer, hob Cassidy den Kopf, doch Shamus stand noch immer über ihm, und es war noch gut ein Viertelliter übrig.
    »Los, Butch. Schlag mich mit deinem Handtäschchen.«
     
    »Bitte, hör auf zu gießen«, sagte Cassidy.
    Er wurde allmählich wirklich wütend, aber es war offenbar nichts zu machen. Indes versetzte der Einspruch Shamus unerklärlicherweise in hellen Zorn.
    »Herrje«, schrie er und schüttete den Rest in einem einzigen langen Strahl aus, »wachsen sollst du, du kleines Unkraut, wachsen !«
    Der Kellner war ein alter gütiger Mann, und er hatte die Rechnung schon bereit. Cassidy verwahrte sein Geld in der hinteren Hosentasche, und auf irgendeinem Wege war das Wasser auch dorthin gelangt, die Scheine waren sämtlich zusammengeklebt. Der Kellner hatte nichts dagegen, weil Cassidy ihm einen ganzen Packen gab.
    In der Ecke stand eine Kupferurne für Stöcke und Schirme. Shamus nahm einen Stock mit Silberkrücke heraus und begann darauf zu flöten, wobei er sich in den Hüften wiegte wie ein Schlangenbeschwörer und einen leisen wimmernden Ton durch die Nase ausstieß. Alles wartete, aber keine Schlange erschien. Nun benutzte Shamus den Stock als Keule und hieb damit in jäher Wut auf die massive Ziselierarbeit.
    »Na schön, du Hundsfott!« brüllte er in die Urne hinein, »mach nur so weiter. Trotze nur. Menschenskind, Lover«, keuchte er, als sie draußen waren, »o Gott, Lover, verzeih , verzeih .« Kopfschüttelnd ergriff er Cassidys Hand und hielt sie an seine tränenüberströmte Wange. »Lover, o Lover, verzeih!«

21
    » Shamus , sag mir’s! Bitte sag mir’s. Was, zum Teufel, ist passiert? Was ist los mit dir? Wer, zum Teufel, ist Dale?«
    »Der Kerl, der Hiroshima bombardiert hat«, erklärte Shamus.
     
    Shamus war besoffen.
    Nicht angeheitert oder angesäuselt oder sonst etwas Niedliches, sondern stink- und stockbesoffen. Er schwitzte furchtbar, klammerte sich schlingernd und stolpernd an Cassidy und weigerte sich, irgendein bestimmtes Ziel anzusteuern, sondern wollte ständig in Bewegung bleiben. Kotzte.
    » Wandere , Jude , wandere «, sagte er immer wieder. » Wandere , Jude .«
     
    Er hält Cassidys Nacken umschlungen, halb Würgegriff, halb Umarmung. Zweimal waren sie, von seinem eisernen Griff umgerissen, zu Boden gegangen, und Cassidys Hose ist vom Knie bis zum Fuß aufgeschlitzt. Auch die Nacht ist tot, und das Morgengrauen humpelt hinter ihnen her. Sie stehen wieder auf einem

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