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Wachsam

Wachsam

Titel: Wachsam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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Kopfsteinpflaster.

22
    Aldo Cassidy, erzogen in Sherborne School und einem unbekannten Oxforder College, Bewahrer und Verehrer des Lebens, zuzeiten Leutnant Cassidy im Heeresdienst in einem unberühmten englischen Infanterieregiment, geheimer Unterhändler in Sachen Weltuntergang, heimlicher Inhaber ausländischer Banknoten, griff in diesem Augenblick auf Reserven an Tatkraft zurück, die er längst als tot abgeschrieben hatte.
    Er packte seinen Freund Shamus rauh beim Kragen seines schwarzen Rocks – der für ihn von nun an geheimnisvoll der Leichenfrack wurde – und zerrte ihn zu einer Bank. Er drückte den nassen heißen Kopf zwischen die gespreizten Männerknie und hielt das nasse unrasierte Gesicht, während der kaltgestellte Autor wiederum auf das Pariser Kopfsteinpflaster spie. Er lockerte die Krawatte des kaltgestellten Autors, um einer Erstickung vorzubeugen, und nachdem er sich neben ihn gekauert hatte, ein Knie auf der Bank, um ein zweites Mal seinen Kopf hinunterzudrücken, betrat er eine Telefonzelle auf der anderen Seite des Platzes und fand die richtigen Münzen und die richtige Nummer, um ein Taxi herbeizurufen. Da das Telefon nicht funktionierte, ging er zu Shamus zurück, stellte seinen Korpus auf die Füße – die Lebenskraft des entmutigten Autors, wenn nicht überhaupt sein Leben, lag zu seinen Füßen wie die milchige Karte seines unheimatlichen Irland – und bugsierte ihn zu einem Brunnen, der sich jedoch als ausgetrocknet erwies. Auf der kurzen Wegstrecke machte er die Entdeckung, daß Shamus bewußtlos geworden war, und diagnostizierte flugs eine überhöhte Herztätigkeit und mutmaßliche Alkoholvergiftung. Mit Hilfe eines vorbeikommenden Polizisten, welchem er sogleich hundert Neue Franc gab – doch sicherlich von seinem großzügig gehandhabten Spesenkonto abzugsfähig –, erlangte der Generaldirektor und Gründer von Cassidy’s Universal Fastenings schließlich eine Transportmöglichkeit in Form eines grünen Streifenwagens mit Blaulicht, das sich, wie es schien, sowohl innerhalb des Wagens wie auf dem Dach drehte. Im Fond ruhend, der vom Fahrersitz durch ein Juweliersgitter aus schwarzem Stahl abgetrennt war, wurde Shamus erneut von Übelkeit befallen, und es gelang Cassidy, während Shamus’ kurzer Fähigkeit, zusammenhängend zu reden, von ihm den Namen des weißen Hotels zu erfahren, wo, wie der findige Second Lieutenant Cassidy sich findigerweise erinnerte, zwei vermißte britische Diplomaten ihre reservierten Zimmer weder bezahlt noch aufgegeben hatten. Dem Fahrer und seinem Kollegen, der vorsichtshalber vorne geblieben war, aber keine Neigung zeigte, Shamus vorschnell zu kritisieren, gab Cassidy eine weitere Hundert-Franc-Note und entschuldigte sich wortreich für den Zustand auf dem Rücksitz. Sein Freund, sagte er, habe sich betrunken, um über einen großen persönlichen Verlust hinwegzukommen. Ein gebrochenes Herz auf dem Feld der Liebe vermutlich? erkundigten sie sich und musterten das gutaussehende Profil. Ja, gab Cassidy, der Retter, listig zu, so könne man es nennen. Auf dem Feld der Liebe. Eh bien , Cassidy solle gut auf seinen Freund achtgeben, seine Genesung überwachen; bei Männern wie ihm sei der Weg steil und langsam. Cassidy versprach, sein Bestes zu tun.
    Der junge Algerier, der das Empfangspult durch die offene Tür eines fensterlosen Schlafraumes überwachte, wo er sich von nächtlichen Ausschweifungen mit einem Kollegen erholte, den er nicht vorstellte, erhielt weitere hundert Franc dafür, daß er seinen Pyjama anzog, die Tür aufschloß, einen Schlüssel herausgab und den Lift in Betrieb setzte, einen altmodischen rückwandlosen Kasten aus Rosenholz, in dem Shamus erfolglos versuchte, sich abermals zu übergeben. Im Salon ihrer Suite war der kleine Tisch wieder an seinen ursprünglichen Platz vor dem Fenster gerückt worden, doch ein Hauch von Elises billigem Parfüm haftete noch in der fadenscheinigen Anhäufung von Polstermöbeln aus dem ancien régime . Hier bestand Shamus darauf, da er nun wieder in die Reihen der gehfähigen Verwundeten gehörte, allein das Badezimmer aufzusuchen, wo Cassidy, der Retter, ihn wenig später schlafend auf dem Boden fand. Mit einer letzten heldenhaften Anstrengung zog Cassidy, der leidlich gute Rugbystürmer, ihm die besudelten Kleider aus, wusch den nackten Körper seines heterosexuellen Freundes mit einem Schwamm ab und beförderte, ja trug ihn auf das Doppelbett, wo er sich bald kräftig genug fühlte, um sich

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