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Wachsam

Wachsam

Titel: Wachsam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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etwas Ernsthaftes erwidern zu wollen. Er starrte Cassidy an, das Blut auf dem Taschentuch, die vorbeifliegenden Lichter, öffnete den aufgeplatzten Mund wie zum Sprechen, schloß ihn wieder und seufzte. »Heiliger Gott«, sagte er schließlich, »sie ist mit Halbblütlern wie du bis obenhin angefüllt.«
    Sie hatten bereits schon einmal zu Abend gegessen, eine Tatsache, die Shamus offenbar entfallen war. Cassidy war nicht in der Stimmung, ihn daran zu erinnern. Der Sohn eines Hoteliers und zahlloser Mütter hatte schon vor langer Zeit gelernt, daß es kein besseres Beruhigungsmittel gibt als gutes, einfaches Essen, heiß serviert.
    Während des Diners in der Brasserie Lipp war Shamus ruhig und versöhnlich.
    Er streichelte Cassidys Arm, schenkte ihm dann und wann ein kleines vages Lächeln, gab dem Kellner zehn Franc aus Cassidys Brieftasche und zeigte ganz allgemein in Wort und Tat Anzeichen, daß er zu seiner leichteren und liebevolleren Gemütslage zurückfand. Als Cassidy dies gewahr wurde, fand er es ratsam, das Gespräch in Gang zu halten, bis der gute Burgunder und die beschwichtigende altmodische Atmosphäre des Restaurants den Genesungsprozeß vollendet haben würden.
    »Ein Schriftstellerparadies, wie?« sagte er und blickte sich um. »Nun, das überrascht mich nicht. Genau das richtige Lokal, wenn man nicht erkannt werden will. Kannst du mir einen zeigen?« fragte er mit angemessener verschwörerischer Ehrerbietung. »Ein paar aus deiner Sparte hier, Shamus?«
    Shamus blickte in die Runde. Ein gewichtiges Paar mittleren Alters, das langsam und anscheinend ohne Werkzeug aß, gab sein Starren zurück. Ein hübsches Mädchen, in Begleitung ihres Freundes, errötete, und der junge Mann blickte mißbilligend auf Shamus, der den Daumen an die Nase legte.
    »Aus meiner Sparte «, wiederholte er. »Nein, ich glaube nicht. Da drüben in der Ecke sitzt Sartre« – er stand auf und verbeugte sich gemessen vor einem zwergenhaften leberfleckigen Greis von ungefähr fünfundachtzig –, »doch ich glaube, wir dürfen ruhig sagen, daß Jean Paul mir nicht das Wasser reichen kann. Ist Monsieur Homer schon gekommen?« fragte er den Kellner mit jener mühelosen Vertraulichkeit, an die Cassidy sich inzwischen gewöhnt hatte.
    »Monsieur …?«
    »Homer. Omer . Alter Grieche mit langem weißem Bart, sieht aus wie der Weihnachtsmann, Homo.«
    » Non , Monsieur «, bedauerte der Kellner. » Pas ce soir .« Der Schatten eines Lächelns, zu flüchtig, um respektlos zu sein, belebte seine ältlichen Züge.
    »Na, da kann man nichts machen«, sagte Shamus liebenswürdig mit resigniertem Kopfschütteln. »Ziemlich ruhiger Abend, fürchte ich. Jungens alle zu Hause.«
    »Shamus«, sagte Cassidy, indem er mühsam seine Politik der unverbindlichen Konversation verfolgte, »wegen meiner Seele.«
    »Ich denke, damit wärst du durch«, sagte Shamus.
    Eine Lachsalve ertönte plötzlich aus der Küche.
    »Nicht eigentlich. Hör zu, Lover. Ich glaube wirklich, daß ich erlösbar bin, was meinst du? Ich meine, jetzt. Seit ich dich kenne. Ich glaube nicht mehr, daß es ein hoffnungsloser Fall ist, oder? Ich weiß, daß ich widerborstig bin. Ich habe viele schlechte Gewohnheiten, aber, nun, du hast mir den rechten Weg gezeigt, oder?« Als er keine Ermutigung erhielt, fügte er hinzu. »Schließlich, irgend etwas muß zu machen sein.«
    Shamus spielte mit dem Wasserkrug, er tauchte die Finger hinein und sah zu, wie die Tropfen fielen.
    »Sag, glaubst du nicht? Sag.«
    »Ich bin das Licht«, sagte Shamus. »Ich bin das Licht und der Weg. Folge mir nach, und du wirst auf deinem Hintern enden«, und er streckte die Hand aus, drehte Cassidys Gesicht nach oben und nach der Seite, rückte es zu genauerer Prüfung zurecht.
    »Shamus, nicht …«, sagte Cassidy.
    »Weißt du, was du ausstrahlst? Den verderblichen Reiz eines unentdeckten Absoluten. Jeder arme Narr, der dich aufgabelt, hält sich für deinen ersten Freund. Und merkt dabei nicht, daß du mit gekreuzten Beinen geboren bist. Eine Durchdringung«, schloß er und ließ Cassidy achtlos frei, »kann niemals stattfinden.«
    Ein barmherziger Kellner brachte ihnen zu essen.
    »Ich habe es dir nie erzählt«, sagte Cassidy und bediente Shamus mit Gemüsen, füllte sein Glas und versuchte mit allen Mitteln, ihn wieder von seiner Feindseligkeit abzubringen. »Aber ich habe schon immer für Schriftsteller geschwärmt, schon in meiner Schulzeit. Ich habe Kurzgeschichten geschrieben, im Bett, wenn das

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