Wachsam
Platz, aber sie tanzen nicht mehr, der Tanz ist aus, auch kein Pferd ist mehr da, nur eine von Sandras längst verstorbenen Hündinnen beäugt sie aus einer Einfahrt.
Shamus übergibt sich wieder, er skandiert seine Krämpfe mit ärgerlichen Ausrufen.
»Scheißkadaver«, schreit er. »Tu, verdammt noch mal, was man dir sagt! Wie, zum Teufel, kann ich mein Wort halten, wenn mein Kadaver nicht spurt? Sag’s ihm, Lover. Bitte, Lover. Shamus muß Wort halten. Sag ihm , er soll mich aufrecht halten .«
»Komm schön, Kadaver«, sagt Cassidy und versucht, das absackende Gewicht zu halten, »komm schön, Shamus muß einige Versprechen halten.«
»Denn ich muß einige Versprechen halten …«
Shamus versucht, die Worte in Musik zu setzen. Nach Cassidys unmusikalischer Meinung singt er recht gut, ein ausgesprochener Shamus-Song, halb gesprochen, halb gesummt, aber mit einer sehr schönen Stimme, auch wenn er (wie der aufmerksame Cassidy richtig argwöhnt) falsch singt.
»Dale«, sagt Shamus plötzlich. »O Gott.«
»Die Nacht ist lieblich, schwarz und tief – sing , du Schuft, Dale – die Nacht – ist – lieblich – schwarz und tief – sing!«
»Ich kenne den Text nicht, Shamus«, sagte Cassidy und fing ihn wieder ab, als er nach vorn kippte. »Ich bin nicht Dale, aber ich würde singen, wenn ich den Text kennte, Ehrenwort.«
Shamus blieb wie angewurzelt stehen.
»Wer würde das nicht?« sagte er schließlich. »Himmel, wer würde das nicht?« Er legte beide Hände um Cassidys Gesicht und zog es zu seinem eigenen empor. »Den verdammten Text nicht kennen und trotzdem singen, das zeigt, was in dir steckt, Lover.«
»Aber du kennst den Text, Shamus.«
»O nein, ich kenne ihn nicht. O nein, ich kenne ihn verdammt noch mal nicht. Dale, mein Süßer. Du glaubst es nur. Weshalb ich dich liebe: bewundernder Prolet. Was kann man mehr verlangen? Das Gebrüll der Proleten vor der Tür, verschwommene Gesichter … Kameras klicken … Das wünscht sich jeder. Die Königin, ich, Flaherty, wir alle.«
Shamus verlegte sein ganzes Gewicht auf Cassidys Schulter und zwang ihn nieder auf den Bordstein.
»Jetzt ruhst du dich hübsch gemütlich aus, Dale, mein Sohn«, sagte er auf irisch, »während dein armer Onkel Shamus dir das Geheimnis des Universums enthüllt«, und zog die Whiskyflasche aus Cassidys Rock. Nach einigen Schlucken wurde er ziemlich nüchtern, doch sein Arm blieb um Cassidy geschlungen, um jeden Fluchtversuch zu vereiteln.
»Ich bin nicht Dale«, wiederholte Cassidy geduldig. »Ich bin dein Lover. Cassidy.«
»Dann sag’ ich’s eben Cassidy. Was haben wir gemeinsam, du und ich, Cassidy, im Inneren? Rate.« Er schrie sehr laut: » Rate , Cassidy! Bevor ich dich wieder zu Dale mache, du erbärmlicher Wicht!« Auf der anderen Straßenseite wurde ein Fenster geöffnet.
» You American? « fragte eine Männerstimme mit amerikanischem Akzent.
»Scher dich zum Teufel«, brüllte Shamus, und wieder zu Cassidy: »Nun?«
»Nun, wir lieben einander, wenn das etwas nützt«, schlug Cassidy vor, indem er einen ihrer früheren Dialoge als Arbeitsgrundlage benutzte. »Wir haben unsere Liebe gemeinsam, Shamus.«
»Käse«, sagte Shamus und wischte eine Träne weg. »Schiere verdammte romantische Seelenblähung, wenn du mir den Ausdruck verzeihst, was du bestimmt tun wirst, wie üblich.«
Zwei Nutten standen ein paar Meter von ihnen entfernt. Eine trug ein langes Brot und brach Bissen davon ab.
»Die Verfressene sieht aus wie deine Mutter«, sagte Shamus.
»Ich dachte, damit wären wir durch«, sagte Cassidy müde.
» Etes-vous la mère de mon ami? « fragte Shamus.
Die Nutten blickten böse und gingen weg, der Spaß dauerte ihnen zu lange.
»Ja, vielleicht ist es das. Vielleicht sind wir warme Brüder«, sagte Cassidy, der noch immer unter der irrigen Voraussetzung zu Werke ging, daß er sich an Shamus’ Themen halten und sie ihm als seine eigenen vorsetzen müsse.
»Negativ«, sagte Shamus. »Hab’ ich je auch nur den kleinsten Finger unter deine Röcke riskiert? Nicht das allerwinzigste Fingergliedchen, oder?«
»Nein«, sagte Cassidy, als Shamus ihn brutal auf die Füße riß. Er war müder als je zuvor in seinem Leben. »Nein, hast du nicht.«
»Willst du mir dann gefälligst zuhören? Und willst du gefälligst mit deinen unwürdigen Argumenten aufhören?«
Cassidy hatte kaum eine Wahl, denn Shamus hielt ihn in unerbittlicher Umklammerung, und ihre Gesichter waren aneinandergepreßt, rauhe
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