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Wachsam

Wachsam

Titel: Wachsam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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ein sanfter, geduldiger Mensch, der gelernt hatte, daß die Reichen sehr demütig waren in ihren Nöten.
    »Möchten Sie einen Arzt?« fragte er und schloß eine Tür auf.
    »Er hält nichts von ihnen«, flüsterte Helen, falls er es vergessen haben sollte.
    »Nein, vielen Dank«, erwiderte Cassidy. »Ich auch nicht«, fügte er hinzu, weil er an John Elderman dachte und nicht wußte, warum.
    »Du verlogener Hund«, flüsterte Shamus. »Du willst den Schwertertanz gar nicht tanzen.«
     
    Die Suite lag auf der Flußseite; die Obstschale enthielt auch Pfirsiche und blaue Trauben, aber kein Kärtchen für Monsieur et Madame ; Telefon im Badezimmer. Shamus wollte sich nicht ins Bett bringen lassen, also legten sie ihn aufs Sofa und kleideten ihn gemeinsam aus, Shamus, ihrer beider Kind. Im Schlafzimmer fand Cassidy eine Daunendecke und legte sie über den zitternden Körper. Er kippte das Obst heraus und stellte die Schale auf den Boden, falls Shamus sich übergeben sollte. Helen kauerte sich in einen Sessel und beobachtete ihn.
    »Ich friere«, sagte sie.
    Also suchte er auch für sie eine Decke und legte sie ihr um die Schultern. Sie saß zusammengekrümmt, als hätte sie Magenschmerzen. Er holte ein feuchtes Handtuch aus dem Badezimmer und wischte Shamus das Gesicht ab, dann hielt er seine Hand.
    »Wo ist Helen?«
    »Hier.«
    »Herrgott«, flüsterte er. »O Herrgott.«
    Das Telefon klingelte; es war Niesthal. Er habe einen Arzt aufgestöbert, einen verdammt guten Freund, alten Bekannten, praktiziere nicht mehr, äußerst verschwiegen, hören Sie, sollten sie hinaufkommen?
    »Das’ ist sehr freundlich von Ihnen«, sagte Cassidy. »Aber es geht ihm schon wieder besser.« Ich bin in Bristol , hätte er noch sagen wollen, aber er hatte nicht den Nerv. Muß ihn morgen früh anrufen, vielleicht zum Lunch einladen.
    »Kann ich einen Drink haben?« sagte Helen, die sich noch immer nicht regte.
    Cassidy bestellte zwei Whiskys, ja, große, vielen Dank. Aus irgendeinem Grund hielt er es für klüger, Shamus einzubeziehen, und klingelte zurück. Bringen Sie drei.
    »Haben Sie fünf Shilling?« fragte er Helen.
    »Nein.«
    Er gab dem Kellner ein Pfund und brachte ihn zur Tür.
     
    »Wasser?«
    »Nein.«
    »Eis?«
    »Nein.«
     
    Sie schlürften den Whisky und beobachteten Shamus. Er lag noch genauso da, wie sie ihn hingelegt hatten, einen nackten Arm quer über der safrangelben Decke, den Kopf herausgereckt, Augen geschlossen.
    »Er schläft«, sagte Cassidy.
    Helen sagte nichts, trank nur ihren Whisky in kleinen Schlückchen, wobei sie in das Glas tauchte wie ein Vogel. Sie war noch immer in voller Montur; eher wie zum Ausgehen, hätte man denken können, als zum Nachhausekommen.
    Cassidy knipste das Deckenlicht aus. Mit dem Dunkel kam Stille. Shamus lag so friedlich, so jung zum Sterben; nur seine Brust hob und senkte sich im Takt mit seinem kurzen raschen Atem.
    »So war er in Paris auch, nicht wahr?« sagte Helen.
    »Manchmal.«
    »Kein Wunder, daß er Sie liebt«, bemerkte sie dumpf. »Es war sein größter Spaß. Die Hölle schaffen, nannte er es. Nicht die Hölle loslassen , sondern schaffen . Man schafft den Himmel. Man schafft die Hölle. Schafft sie manchmal am gleichen Ort. Zur gleichen Zeit. Hauptsache, man schafft etwas. Einmal habe ich mir gewünscht, er würde eine Weile gar nichts schaffen. Ich muß allmählich in die Jahre kommen.«
    »Wenn er nicht die Hölle schaffen würde, würde er auch keine Bücher schaffen«, sagte Cassidy loyal.
    »Andere bringen es fertig.«
    »Ja, aber sehen Sie sich doch an, was sie schreiben.«
    »Sie wissen nicht, was sie schreiben, Cassidy. Sie lesen nicht, sowenig wie ich. Sie und ich, wir wissen nur, daß es Hunderte von Schriftstellern gibt, alle mit Kind und Kegel, die prima Bücher aus Zitronenlimonade keltern. Soviel wir wissen.«
    »Na, na«, sagte Cassidy milde. »Das meinen Sie nicht ernst.«
     
    Auf dem Fluß ließ ein einsamer Schleppkahn sein Nebelhorn tuten. »Ach ja«, sagte Helen, »da hat er sein verdammtes Wasser wieder«, und beide lachten erleichtert.
     
    »Warum?« sagte sie unvermittelt.
    »Warum was?«
    »Warum hat er getutet? Es ist nicht nebelig. Warum tutet ein Schlepper um halb zwölf in einer schönen Sommernacht?«
    »Ich weiß nicht«, sagte Cassidy.
    Sie nahm ihr Glas, ging damit zum Fenster und blickte hinaus. Ihre nackten Schultern hoben sich klar und schwarz vor der Londoner Nacht ab.
    . »Kann ihn nicht mal sehen. Herrgott«, wieder blickte

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