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Wachsam

Wachsam

Titel: Wachsam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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sie hinaus. »Luft tut ihm nicht gut. Luft ist zu weich für ihn, Sie wissen ja, nicht wahr? Nicht genügend Schwung.«
    »Wie das Neue Testament«, sagte Cassidy.
    »Genau wie das Neue Testament. Masochistisch, schuldkomplexbeladen und …«
    »Und von Ghostwritern geschrieben«, ergänzte Cassidy Shamus’ Urteilsspruch stellvertretend für sie.
    »Einer seiner Helden ging herum und badete im Springbrunnen.«
    »Hat er Ihnen davon erzählt?«
    »Erinnere mich nicht«, sagte Cassidy.
    »Ein deutscher Dichter. Spink oder Krump oder so was. Der Zusammenstoß bestätigt die Form, sagt er, oder Shamus, ich weiß nicht wer. Glauben Sie, daß er diese Leute erfindet?«
    »Es spielt eigentlich keine Rolle, nicht wahr. Zu mir hat er einmal gesagt, er habe mich erfunden.«
    »Es hat wieder getutet«, sagte Helen anklagend.
    »Vielleicht war es eine Eule«, meinte Cassidy.
    »Oder eine Nachtigall«, sagte Helen, wie immer mit einer literarischen Anspielung flink bei der Hand.
    »Krump«, sagte Cassidy, um sie aus ihrer Träumerei zu wecken. »Sie sprachen über Krump.«
    » Der Zusammenstoß bestätigt die Form . Deshalb müssen wir dauernd mit etwas zusammenstoßen. Um unsere Form zu bestätigen. Um unsere Außenkanten zu spüren .« Sie trank. »Der Haken dabei ist, wenn der Stoß zu heftig ist, verliert man seine Form völlig. Haut sie in Trümmer. Bis nichts mehr da ist, was bestätigt werden könnte.«
    »Das wird ihm nicht passieren«, sagte Cassidy fest. »Nicht, solange wir um ihn sind.«
    »Nein«, stimmte Helen nach langem Überlegen zu. »Nein. Es darf nicht passieren, nicht wahr? Wenn Sie nur singen könnten. Ich möchte so gern mit Ihnen singen. Mit Lover singen.«
    »Ich kann’s aber nicht«, sagte Cassidy.
    Wie ein Schwimmer hob sie die Arme in Schulterhöhe, zuerst nach vorn, dann seitwärts, dann stellte sie sich auf die Zehenspitzen, als setzte sie zum Kopfsprung durchs Fenster an.
    »Komisch, wenn man denkt, daß sie jetzt da drunten tanzen«, sagte sie. »Schlafen, während andere tanzen. Das haben wir früher nicht getan, Shamus und ich.«
    Ohne Warnung veränderte sich ihre Stimme. »Cassidy, warum fühle ich mich so elend?«
    »Die Reaktion«, meinte Cassidy. »Der Schock.«
    »Ich fühle mich nämlich verdammt elend. Wie eine elende, weinerliche alte Kuh.«
    Sie stieß die Luft aus, schnupperte dann ihren Atem ein, ob er nach Alkohol rieche.
    »Elend, weinerlich, alt und besoffen«, bestätigte sie. »Mein Gott, was für eine Närrin!«
    »Helen –.«
    Sie redete zu laut, jedenfalls laut genug, um ihn aufzuwecken.
    »Da sitze ich im piekfeinen Savoy-Hotel in einem piekfeinen weißen Kleid, und was tue ich?«
    »Helen«, sagte Cassidy beschwörend, aber zu spät; sie zog bereits die Schuhe aus.
    »Alles, weil mein verdammter Ehemann verrückt spielt. Tanzen Sie mit mir.«
    »Helen, bitte, wir werden ihn aufwecken …«
    Ihre Arme lagen bereits um ihn, suchten seine Hand, lenkten seine Schulter. Ein wenig zögernd folgten die beiden Jünger, die Augen noch immer auf die hingestreckte Gestalt des schlafenden Propheten geheftet, dem fernen Rhythmus der Kapelle. Der Teppich war sehr tief und machte kein Geräusch.
    »O Cassidy«, flüsterte sie, »wie blöde ich war.«
    Ihre Wange lag an der seinen, ihr Haar war in seinen Augen, und ihr Körper wiegte sich und bebte dicht an dem seinen, genau wie der seine.
    »Schließlich«, sagte sie, »würde er genau das wollen, wenn er wach wäre.«
     
    Irgendwie – wie, das war keineswegs klar – trug sie ein gemeinsamer Wille, keiner von beiden übernahm das Steuer – irgendwie standen sie im Schlafzimmer. Die Verbindungstür war vermutlich offen: Cassidy hatte die Augen geschlossen, er konnte es nicht sagen; und als er sozusagen erwachte und den Engel Helen in seinen Armen fand und das bedenklich breite (der safranfarbenen Daunendecke entkleidete) Bett hinter ihr, sah er, daß auch ihre Augen geschlossen waren. Hier mußte ein blindes Fatum walten: keine menschliche Initiative.
    »Treibgut«, verkündete Helen. »Sind Sie das, Cassidy?« Und um die Identifizierung zu sichern, hielt sie ihm die Hand übers Gesicht wie einen Maulkorb.
    »Bellen«, sagte sie.
    »Ich kann nicht«, sagte Cassidy.
    Sie richtete sich noch bequemer in seinen Armen ein, packte ihn liebevoll an beiden Ohren und nibbelte sie zwischen Zeigefinger und Daumen.
    » Lieber Cassidy. Was für ein weiches Fell. Küß mich.«
    »Nein«, sagte Cassidy.
    »Verführe mich.«
    »Nein«, sagte

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