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Wachsam

Wachsam

Titel: Wachsam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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Sandra haben bisher um mein geheimes Übel gewußt . Ich bitte Dich , diese Mitteilung unter allen Umständen streng vertraulich zu behandeln .
    Nachdem er den Brief verschlossen, mit einer Marke beklebt und in die Tasche gesteckt hatte, bestellte er eine weitere Portion heißer Teekuchen und aß sie in tiefer Verzweiflung. Jetzt weißt du alles, dachte er; mach mit mir, was du willst.
    Er verließ das Café und warf den Brief in einen öffentlichen Müllkasten. Vergiß es, sagte er zu sich selber. Nur nichts Schriftliches. Es ist nie passiert.
     
    Die beiden haben nie existiert, sagte er sich. Ich habe sie mir ausgedacht. Na hör doch, sag doch selbst, hätte mir das so lange Zeit durchgehen können?
    Er fuhr zum Transport House , dem Hauptquartier der Gewerkschaften, und erkundigte sich bei der Auskunft, wie er sich um eine Kandidatur bewerben müsse. Das Mädchen wußte es nicht, versprach aber, nachzufragen.
    »Sie sagten doch Labour , nicht wahr?« fragte sie zweifelnd und blickte an ihm vorbei auf den frisch gespritzten Bentley.
    »Ja, bitte«, sagte Cassidy und hinterließ seine Karte.
     
    Es ist nie passiert. Vergiß es.
     
    Shamus ist tot.
    Helen ist tot.
    Sie haben nie existiert.
    Ich habe sie geträumt.
    Ins Nichts.
     
    Und doch, aus der Tiefe seiner Qual, aus dem Elend von Schuld, Reue, Täuschung und Bedauern, wuchs auch – wie Shamus es gewünscht hatte – das kleine Unkraut. Denn seine Todesqual war auch durchzogen von einem drängenden Willen zum Leben – das Geschenk gewisser, nicht genannter Freunde, deren Einfluß auf ihn nichts von ihrer Kraft verloren hatte. Als er anderntags von einer Nachtdebatte im Hauptquartier der Docker zurückkehrte, kam er einer Verpflichtung an der Eldermanschen Tafel nach und erwarb sich dort die Achtung aller, die ihn hörten. Nun ja, sagte er, der Report sei streng vertraulich; er sei wirklich außerstande, viel darüber zu sagen. Ja, er werde Cassidy-Report heißen. Umfang? Umfaßte so ziemlich alles von den Aufnahmeformalitäten im Transport House bis zur Schaffung von Freizeitgestaltungsmöglichkeiten in den Lagerhäusern der Cable Street. Etwa die gleichen wie sie in der Presse zitiert waren (gute Idee – keiner wollte eingestehen, daß er die Artikel nicht gelesen hatte), mit einigen Ergänzungen, auf denen er zu seinem eigenen Schutz bestanden habe.
    Im Bett, ausgerüstet mit einer von äußerster Angst zustande gebrachten Männlichkeit – und vielleicht stimuliert von gewissen nicht näher bezeichneten Erinnerungen an nicht stattgehabte Ereignisse –, erstaunte er seine Ehefrau mit einer Serie sexueller Glanzleistungen. »Und schaff uns deine Mutter vom Hals«, gebot er. »Ich will sie nicht länger im Haus haben.«
    »Gern«, sagte Sandra.
    »Ich will dich ganz für mich haben«, sagte er.
    »Und das allein zählt«, pflichtete Sandra bei. » Lieber Pailthorpe .«
     
    Wuchs, knospte und, o Wunder, blühte sogar.
    Und empfand, unter vielen anderen widersprüchlichen Gefühlen – zum Beispiel Schrecken, zum Beispiel Haß auf die scharlachne Hure Helen, zum Beispiel tiefe Sympathie für den extrem rechten Flügel der Konservativen Partei, der die Besitzenden vor den gemeinen Attacken schäbiger Schriftsteller und ihrer unmoralischen Ehefrauen schützt –, empfand jene besondere Überlegenheit, die nur einer empfindet, der Auge in Auge mit dem Schicksal lebt: Alpinisten, Todkranke und die vielen Helden des Krieges, den er verpaßt hatte. Endlich gehörte das Unkraut der Bruderschaft an; der Elite. Er begriff, warum Helen und Shamus soviel vom Sterben gesprochen hatten. Der Tod ist der Besitz der Lebenden; sie sollten ihn zu jeder Stunde im Auge behalten.
    Auch schlief das Unkraut weniger; aß weniger; arbeitete besser und flotter. Und da er im Verlauf dieser vierzehn Tage feststellte, daß er sich weder den Aussatz zugezogen hatte noch von der Polizei verhaftet wurde und daß auch keiner der stets bedrohlichen Bescheide der Steuerbehörde oder der Handelskammer zugestellt worden war; und da er nichts von Helen oder Shamus gehört und keine Anstalten gemacht hatte, sie von sich aus zu erreichen; und da er sie deshalb zunächst vermißt und später tot wähnte, beschloß er, daß es ungefährlich sei, in aller Stille seine neue aufregende Politik des Nehmens ein Stückchen weiter voranzutreiben.
     
    »Weißt du …«, begann Sandra eines Nachts dankbar.
    »Was soll ich wissen?«
    »Selbst wenn alles gelogen wäre, die ganze Geschichte, das Papier, die

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