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Wachsam

Wachsam

Titel: Wachsam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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zurück.
    »Helen«, rief er und ließ Cassidys Arm nicht los, »mach dich fertig, du Kuh! Mut , Lover«, flüsterte er. »Jetzt heißt’s tapfer sein, Soldat.«
    Cassidy nickte.
    »Sonst muß Papa dich totschießen.«
    Wieder nickte er.
    »Höchstens fünf Minuten«, rief Helen aus dem Schlafzimmer.
    Gemeinsam trugen sie den Tisch in die Mitte des Zimmers.
     
    »Wir brauchen Zeugen «, sagte Shamus aus der Küche. »Wie, verdammt noch mal, kann ich die Hebamme der Geschichte machen, wenn keine Zeugen anwesend sind?« Er kam mit einem Tischtuch zum Vorschein, einem weißen Damasttuch aus Sandras Aussteuer. »Herrje, die könnten eine Bürste vertragen, alles was recht ist«, sagte er und blickte kritisch auf Cassidys Schuhe, die vom Anmarsch beträchtlich gelitten hatten. »Und was ist mit diesen Linoleumhosen, was zum Teufel sollen die bedeuten?«
    »Das ist Kavalleriedrell«, sagte Cassidy. »Das beste, was ich hier draußen bekommen konnte.«
    Er hatte sie nach seinem Selbstmord gekauft; die anderen waren im Kleefeld ruiniert worden.
    »Wenn wir nur alle die richtige Ausrüstung hätten«, sagte Shamus seufzend.
    Helen trug ein neues graues Kostüm, das Sandra sich im vergangenen Jahr speziell für Club-Cocktail-Partys in Bern gekauft hatte; ein wenig altmodisch für manchen Geschmack, aber trotzdem sehr hübsch, mit grünen Applikationen am Kragen und einem dazu passenden Schal für ihren Hals. Sie kam sehr langsam herein, ihre Augen schimmerten; sie hatte Puder auf den blauen Fleck gelegt und trug ein Sträußchen Zyklamenblüten, die sie von dem Stock in der Küche abgeschnitten hatte. Ihr Mund war breit gezogen, wahrscheinlich ein Lächeln. Die Blumen zitterten, und sie war nervös.
    »Das ist sie, nicht wahr?« fragte Shamus, als sei er plötzlich erblindet.
    Er hatte ihnen den Rücken zugekehrt und schaute aus dem Fenster. Seine Schultern waren hochgezogen. Weder Helen noch Cassidy konnten sein Gesicht sehen, aber sie konnten ihn in leisen, dumpfen Tönen summen hören.

36
    Shamus hatte die Farbe gewechselt.
    Er war nicht errötet oder erblaßt, von Weiß zu Rot, von Rot zu Weiß, wie die willkürlichen Gesetze der mittelalterlichen Ballade es vorschreiben; seine ganze Gestalt schien einfach die dunkleren, stürmischen Tönungen seiner hitzigen Stimmung angenommen zu haben. Als er ihn beobachtete, erkannte Cassidy dumpf, was er immer gewußt, aber bisher nicht verstanden hatte: daß Shamus keine physische Konsistenz besaß; keinen Umriß, kein Profil, an dem man ihn erkennen könnte; daß er so wechselhaft war wie der Himmel draußen vor dem Fenster; genauso drohend, so still, so licht oder dunkel, so windgepeitscht oder ruhig; und daß Cassidy zuviel Denkarbeit darauf verschwendet hatte, ihn zu definieren, indem er seine Anwesenheit fälschlich als etwas Vertrautes hinnahm; und daß er ebensogut hätte versuchen können, den Wind zu lieben wie diesen Mann zahm zu machen für die Wohnzimmer, in denen Cassidy zu Hause war.
    Er hatte einen Shamus gekannt, der 1 Meter 80 groß war und die Geschmeidigkeit eines Tänzers besaß; einen, der gedrungen und gewalttätig war, mit den geduckten Schultern eines Ringers; er hatte ihn männlich und weiblich gekannt, als Kind und Mann, als Liebhaber und Hunzer; doch als einen einzigen Menschen würde er ihn nie kennenlernen. Deshalb hat er Romane geschrieben, dachte Cassidy und setzte ihn bereits in die Vergangenheit; er mußte aus dieser ganzen Armee eine einzige Person machen. Deshalb war er so eifersüchtig auf Gott: Gott hat ein Reich und kann uns alle einbeziehen, Gott hat Wohlgefallen an der Vielheit seiner Abbilder, Gott hat Dome, um seine zahllosen Gleichnisse darin zu bergen; Shamus jedoch hat nur diesen einen Körper, und sich durch die Welt schleppen und so tun müssen, als wäre er eine Person, nie sich einem Ort oder einer Frau hingeben dürfen, das ist die Strafe, wenn man Shamus ist.
    Shamus hatte außerdem Schwierigkeiten mit der Pistole.
    Der neue schwarze Morgenrock, den Helen mitgebracht hatte, paßte ihm gut, doch der Gürtel war nicht fest genug, um das Gewicht einer so schweren Waffe zu tragen. Nachdem er erfolglos versucht hatte, die Pistole um seine Hüfte zu schnallen, befahl er Helen, sie ihm um die Achsel zu knoten. Doch das baumelnde Schießeisen störte ihn beim Lesen des goldgeränderten Buches, und schließlich schleuderte er es gereizt auf den Tisch zwischen den angezündeten Kerzen.
    »Jetzt setzt euch«, kommandierte er und wies auf das

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