Wachsam
die beiden unter ihr standen. Wartete, wie alle Frauen warten. Das Geräusch mit dem ganzen Körper einfangend. Wartete auf ein Schiff oder ein Kind oder einen Liebsten; aufrecht, gespannt, bebend.
»Wir sind hier unten«, sagte Cassidy.
Der blaue Fleck war unter ihrem Auge, dem linken Auge, stellte er fest; Shamus hatte sie mit der rechten Hand geschlagen, wahrscheinlich einen Haken; einen harten weiten von der Seite, nicht unähnlich Sals blauem Auge an jenem Abend, als sie sie in der Cable Street aufsuchten. Bis er die Tür geöffnet hatte, war sie in der Diele. Sie schloß die Augen lange, ehe er sie berührte, das Gute und das Böse, und er hörte sie flüstern »Cassidy«, als ihre Arme sich sanft um ihn legten; und er fühlte sie zittern wie im Fieber.
»Auf den Mund «, schrie Shamus von hinten. »Himmel. Was ist das hier? Ein Scheißkloster?«
Also küßte er sie auf den Mund; sie schmeckte nur ein kleines bißchen nach Blut, als habe sie einen Zahn verloren.
Der Wohnraum – sein eigener Entwurf – war lang und vielleicht zu schmal, um gemütlich zu sein. Der Balkon lief rundum und bot Aussicht nach drei Seiten auf das Tal, das Dorf und die Gebirgskette. An einem Ende neben der Küche war eine fichtengetäfelte Eßecke, und Helen hatte den Tisch für drei gedeckt, mit den besten Servietten und den echten Wachskerzen aus der linken oberen Schublade.
»Sie ist ein bißchen dünn«, erklärte Shamus. »Hab’ sie nämlich eingesperrt, bis du kamst.«
»Das hast du mir gesagt«, sagte Cassidy.
»Nicht die Leute kritisieren , Lover? Prinzessinnen muß man in Türme sperren, nicht wahr? Kann diese Weibsbilder nicht im ganzen Reich rumhuren lassen.«
Ob Helen nun dünner geworden war oder nicht, ihre Augen jedenfalls hatten einen herausfordernden Glanz, etwas vom Mut der Schwerkranken.
»Ich habe eine Ente aufgetrieben«, sagte sie. »Ich glaube mich zu erinnern, daß es Ihr Leibgericht ist.«
»Oh«, sagte Cassidy. »Oh, vielen Dank.«
»Sie mögen sie doch noch immer, nicht wahr?« fragte sie sehr ernsthaft und bot ihm Brezel von der Vorspeisenplatte an, die Sandra für Reistafeln benutzte.
»Doch«, sagte Cassidy.
»Ich dachte, vielleicht sind Sie davon abgekommen.«
»Nein, nein.«
»Nur eine tiefgekühlte. Ich versuchte, eine frische zu bekommen, aber sie …« Sie hielt inne und begann dann von neuem. »Es ist so schwierig übers Telefon, alles in einer fremden Sprache … Er wollte mich nicht aus dem Haus lassen, keinen Schritt. Er hat sogar meinen Paß verbrannt.«
»Ich weiß«, sagte Cassidy.
Sie weinte ein bißchen, und er führte sie in die Küche, stützte sie am Ellbogen. Sie lehnte sich an ihn, ließ ihren Kopf an seine Schulter sinken und holte tief Atem, füllte die Lungen mit der Stärke seiner Gegenwart.
»Hallo, Teufelsbraten.«
»Hei.«
»Er hat, er hat es … gewußt. Nicht geraten oder vermutet oder irgend etwas Gewöhnliches, gewußt . Wie nennt man das, wenn man es durch die Poren einsaugt?«
»Osmose.«
»Ja, das war es. Doppelte Osmose. Ich weine nur, weil ich müde bin. Ich bin nicht traurig, ich bin müde.«
»Ich weiß.«
»Sind Sie müde, Cassidy?«
»Ein bißchen.«
»Er wollte mich nicht hinlegen lassen. Ich mußte im Stehen schlafen. Wie ein Pferd.«
Sie weinte ausgiebig; er nahm an, daß sie schon seit Tagen weinte, und jetzt war es zur Gewohnheit geworden, sie weinte, wenn der Wind umschlug und wenn der Wind aufhörte oder wieder einsetzte, und hier war der Föhn, er schlug dauernd um.
»Cassidy.«
»Ja.«
»Sie wären auf jeden Fall gekommen, nicht wahr? Auch wenn er es nicht gesagt hätte?«
»Natürlich.«
»Er hat gelacht. Jeden Tag, an dem Sie nicht kamen, hat er gelacht und gesagt, er kommt nie. Zwischendurch wurde er manchmal traurig. Come on , Lover , hat er gesagt, bist jetzt ein großer Junge , wo bleibst du denn? Dann war er liebevoll zu mir und sagte, ich solle für Sie beten.«
»Ich habe drüben auch allerhand zu tun gehabt.«
»Wie hat’s die Leitkuh aufgenommen?«
Durch ihre Tränen hörte er Sandras Schreie das Treppenhaus auf- und niederhallen, wie Hugos magischen Springball zwischen dem schönen Sims und dem Plattenboden.
»Bestens. Kein Problem. Sie war froh, wirklich … als sie es wußte.«
»Hier war es auch leicht, wirklich … sobald er wußte, daß ich dich liebe.«
»Ich gehe jetzt lieber wieder«, sagte Cassidy.
»Ja. Ja, er braucht dich.«
Mit einem kleinen ermutigenden Klaps schickte sie ihn
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