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Wachsam

Wachsam

Titel: Wachsam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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geschieden «, verkündete eines der größeren Mädchen und bot Cassidy ein leicht angelutschtes Bonbon an.
    »Sei still«, sagte ihre Mutter und holte zu einer Ohrfeige aus.
    Wenn Shamus überhaupt Furcht kannte, hier war sie in Reinkultur, und diese Leute waren ihr Gegenstand. Er hatte eine äußerste Abwehrstellung ganz oben an der Treppe bezogen, wo er, blaß und müde, in den Schlafrock gewickelt, kauerte, die Damastdecke war um seinen Hals geschlungen wie ein Collegeschal. Alle blickten zu ihm auf, warteten auf seine Befehle, doch es dauerte geraume Zeit, ehe ihre Erwartung ihn zum Handeln veranlaßte. Er sprang auf – seine Beine unter dem Schlafrock waren nackt, Haverdownbeine, und keine Spur von Weiß zwischen den oberen Schatten – und schwang den Pistolenlauf lässig in Richtung auf die oberen Räume. »Gut. Hier herauf, die ganze Bande. Einer nach dem anderen, Hände auf den Kopf. Marsch, du! «
    »Ich?« fragte John Elderman mit abscheulichem Grinsen.
    »Weg mit der Scheißpfeife. Du wirst mir in der Kirche gefälligst nicht rauchen.«
    Und so hatte er sie in wenigen Sekunden in den Wohnraum hinaufgescheucht, Eltern, Gepäck und Kinder. Sie gehorchten nicht nur dem Schießeisen; er schien sie gründlich zu kennen: zu wissen, wie man sie zum Gehorchen brachte, zum Schweigen brachte, was die Kinder essen sollten. In wenigen Minuten lag ihr Gepäck ordentlich gestapelt an der Treppenwand; waren die Kinder auf dem Klo, abgefüttert und ausgezogen; und die ganze Familie saß wie die Orgelpfeifen auf dem Sofa, im vordersten Kirchenstuhl direkt vor dem Altar.
    »Das Ganze ist absolut widerwärtig«, sagte Mrs. Elderman und musterte Helen kritisch. »Du meine Güte, was ist mit ihrem Auge los? John –.«
    »Klappe halten«, befahl Shamus ihr. »Kameltreiberschlauch! Jahu! Klappe halten! Du bist hier Zeuge und kein verdammter Schiedsrichter!«
    John Elderman, der direkt in der Schußlinie saß, schien trotz des Flehens seiner Gattin gänzlich abgeneigt, den hippokratischen Eid zu erfüllen.
    »Verdammt sonderbar«, war alles, was er äußern wollte, und das im Ton einer anthropologischen Untersuchung. »Das erklärt eine ganze Menge.«
    Er hatte seine Pfeife in die Tasche gesteckt.
     
    Helen, die sich selbst überlassen war, hatte inzwischen ihre Stellung nicht verändert. Sie saß dort, wo die Männer sie verlassen hatten, ein ungetrübt bräutliches Lächeln auf den Lippen, als betrachtete sie in dem welken Sträußchen aus Blütenköpfen, das sie noch immer in der Hand hielt, die süßen Stürme der Leidenschaft, die das Leben für sie bereithielt.
    Ihre andere Hand lag still und offen da und wartete auf die Rückkehr des Bräutigams. Beim Eintreten der Eldermans war sie zerstreut aufgestanden, um sie zu begrüßen, doch ihr Sinn war ernst und Höherem zugewandt, wie es ihr an ihrem großen Tag geziemte.
    »Ach ja«, sagte sie, als sie den Namen hörte. »Aldo hat von Ihnen gesprochen.«
    Sie überließ die Ausarbeitung der Sitzordnung ihrem Mann. Nur die Kinder bewirkten eine Veränderung ihres Ausdrucks.
    »Wie reizend «, bemerkte sie zu der Mutter. »Wie süß und reizend.«

37
    Die Anwesenheit einer größeren Gemeinde hatte auf Shamus eine bemerkenswerte Wirkung. Welche Zweifel ihn auch immer bislang heimgesucht, welche Mysterien und Wirrungen seine Hand gelähmt haben mochten, der unerwartete Einfall seines Feindes, seines geschworenen Erzfeindes, hatte sie alle beiseite gefegt. Bis jetzt schienen seine priesterlichen Pflichten schwer auf ihm gelastet zu haben. Zuweilen wirkte er, als stellte er seinen eigenen Glauben in Frage; während seine sprunghaften Stilwandlungen und der häufige Griff nach dem Revolver die Wirkung seiner Worte sehr gemindert hatten. Vorbei. Jetzt überfiel ihn fieberhafte Tatkraft. Der Teufel war im Haus; Shamus benötigte duftende Kräuter und durchsuchte die Küche, bis er auf eine Dose Thymian stieß, den er freigebig über den improvisierten Altar verstreute. Kerzen, mehr Kerzen; der Fürst der Finsternis rückte an, Shamus benötigte Licht, um ihn in Schach zu halten.
    Gefäße wurden in aller Eile herbeigeschafft, und während die Eldermans in dumpfem Staunen starrten, wurden überall Haushaltskerzen aus einer Schachtel – Sandras eiserne Ration für etwaigen Stromausfall – verteilt. Bald war der Raum vom Geruch brennenden Wachses erfüllt, war der Eßtisch ein lodernder Wall, hinter dem Shamus Schutz suchen konnte vor den Schrecknissen und bösen Kräften

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