Wachsam
»Futterrechnungen gehen ins Aschgraue. Kleider, Autos, sie wird alles wollen.«
»Cassidy«, rief Helen wütend.
»Sie kann alles haben, was sie will«, sagte Cassidy loyal.
»Warum gibst du ihr nicht einfach das Geld: Du mußt sie dir nicht auch noch auf den Hals laden. Mit fünftausend müßte sie durchkommen.«
Mit einem raschen Verschwörerblick nach der Gemeinde hatte Shamus Cassidy an sich gezogen, so daß Shamus’ Lippen an Cassidys Ohr waren und Shamus’ Wange sich an Cassidys Schläfe preßte. Als er ihm plötzlich so nahe war, roch Cassidy plötzlich wieder Paris und den Alkohol und die Mülleimer auf den Straßen; roch den Holzrauch vom Kamin, der noch an seinem Schlafrock haftete, und den Schweiß, der immer an Shamus war. Und der Abstand, den er genommen hatte, war weg, denn dies war Shamus, der einst Cassidys Freiheit gewesen war; und ihn geliebt hatte; der ihn brauchte und sich auf ihn gestützt hatte; bei ihm ausgeruht auf seiner hoffnungslosen Suche; mit ihm gespielt am Flußufer.
»Um Gottes willen, Lover«, drängte Shamus. »Warum eine Freundschaft wie die unsrige hops gehen lassen für ein Stück Weiberfleisch?«
Seine Lippen blieben an Cassidys Ohr, der Atem vibrierte an den Membranen. Shamus’ Kiefer preßten sich gegen seinen Kopf, und Shamus Hände waren um seinen Hals geschlungen. Schließlich schob er Cassidy sanft von sich weg und musterte ihn auf seine eigene vertraute Art, las (so schien es Cassidy) sein ganzes Leben von ihm ab, alle seine Paradoxe, seine Ausflüchte und unlösbaren Konflikte. Einen Augenblick lang erhellte sich für Cassidy der Himmel, und er sah die Spitze des Hügels, von der er den Flieger hatte segeln lassen. Und er dachte: Wir müssen dorthin zurück . Von dem Hügel aus begreife ich alles .
Dann lächelte Shamus: das breite, trügerische Lächeln des Siegers. »Nun?«
»Es hat keinen Sinn«, sagte Cassidy.
»Was meinst du? Keinen Sinn? Du bist hier, weil es einen Sinn hat! Es hat seinen gottverdammten Sinn! Ich habe dich gehabt, jetzt gebe ich dich ihr . Ich habe sie gehabt, jetzt gebe ich sie dir!«
»Ich meine, es hat keinen Sinn, es mir ausreden zu wollen, ich liebe sie.«
»Was war das?« sagte Shamus sehr ruhig.
»Ich sagte, ich liebte sie.«
»Und liebst sie noch immer?«
»Ja. Mehr als du.«
»Und du liebst sie auch mehr, als du mich liebst?«
»Ja, beides«, sagte Cassidy wie betäubt.
»Nochmals, sag es nochmals«, drängte Shamus und packte ihn.
»Ich liebe sie.«
»Schrei es laut heraus! Ihren Namen, alles.«
»Ich liebe Helen .«
»Aldo liebt Helen!«
»Ich, Aldo, liebe Helen. Ich, Aldo, liebe Helen. Ich, Aldo, liebe Helen.«
Plötzlich, ohne daß Cassidy verstand warum, erfaßte ihn der liturgische Charakter und der Rhythmus der Worte. Je lauter er schrie, je heller, um so erregter wurde Shamus’ Lächeln: Je lauter er schrie, um so größer wurde der Raum, um so mehr füllte er sich und hallte wider. Shamus goß Wasser über ihm aus, wie bei Lipp , einen ganzen Krug voll, entsühnte ihn im Namen des Wenigen, Helen küßte ihn schluchzend und fragte, warum es so lange gedauert habe. Die Lautstärke wuchs; die Kinder klatschten, nur eines weinte, während Cassidy in seiner Fantasie den eigenen durchnäßten blöden Körper in einer Pfütze heiligen Wassers stehen sah und einer lachenden Welt die Liebe zurief.
»Ich, Aldo, liebe Helen! Hört ihr mich? Ich, Aldo, liebe Helen!«.
John Elderman war aufgestanden und klatschte in die Hände; seine Frau hielt die Umhängehandschuhe ans Kinn und lachte und weinte zugleich.
»Das ist das Wahre«, schrie John Elderman. »Mein Gott, das ist der heilige Bund. Danach werde ich nie streben, niemals.«
»Wenn es nur mehr Leute sehen könnten«, sagte Mrs. Elderman. Aber sie können, rief Cassidy, sie können. Warum seht ihr euch nicht um, ihr Idioten? Sandras Familie drängte sich in den Kirchenstühlen hinter ihr. Mrs. Groat in Früchte und Blumen gekleidet, eskortiert von ihren zahlreichen Schwestern und Cousinen; Snaps in beigem Samt, der den Spalt zwischen ihren Brüsten unnötig entblößte. Vom anderen Seitenschiff kam das tränenreiche Husten der Verlassenen und das unverhohlene Weinen Old Hugos, der neben dem leergebliebenen Platz A. L. Rowses stand. Orgelklänge erfüllten den Raum, So nimm denn meine Hände und So weidet , ihr Schafe , in Frieden .
»Ich, Aldo, liebe Helen. Ich, Aldo, liebe Helen. Ich, Aldo, liebe Helen.«
»O Lieber, o Lieber«, schluchzte Helen; sie
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