Wachsam
bürgerlicher Mittelmäßigkeit.
»Er ist verrückt«, sagte Beth Elderman.
»Ruhig, Darling«, sagte ihr Mann nervös. »Er ist vielleicht nur durchgedreht.«
»Stopf ihnen das Maul!« brüllte Shamus. »Du kennst ihre Sprache, bring es ihnen bei.«
»Bitte seien Sie still«, sagte Cassidy sehr höflich. »Es regt ihn auf.«
Draußen hatte der Nebel sich für kurze Zeit verzogen. Im dunkelnden Himmel funkelten die freien Gipfel des Angelhorns wie riesige Brillanten. Im Dorf gingen die ersten Lichter an; doch die Gipfel hatten noch ihre eigene Sonne und glänzten im eigensinnigen Tageslicht über der blinzelnden Dunkelheit des Tals.
Das dünne Bimmeln einer Tischglocke verkündete den Beginn der Zeremonie.
»Ehe wir fortfahren «, begann Shamus, »habe ich einige Ankündigungen zu machen. Stillsitzen!« gebot er einem kleinen Mädchen mit mahnendem Schwenken der Pistole. »Bleib sitzen und rutsch nicht herum.« Die Mutter zog das Kind heran, setzte es hastig zurecht und blickte Shamus wieder ins Gesicht, nachdem auch sie sich noch aufrechter hingesetzt hatte.
»Zuerst«, fuhr er in dem salbungsvollen, pseudo-intellektuellen Tonfall eines Modepredigers aus West End fort, »möchte ich Ihnen sagen, wie sehr ich mich freue , auch Kinder bei unserem Gottesdienst willkommen heißen zu können. Es gehört zu den erfreulichen Zeichen für die ungebrochene Kraft der Religion, daß Eltern« – hier ein duldsames Lächeln zu den Eldermans – »ihre Kleinen in Sein Haus bringen. Es macht den Kindern und den Eltern Ehre.«
Er warf einen Blick auf einen Zettel in seiner Hand. »Die nächste Ankündigung gilt denen unter uns, zu denen die tragische Nachricht noch nicht gelangt ist, die Nachricht von einem Massenmorden in der Gegend von Thailand. Vergangene Nacht wurden auf Grund eines strategischen Versehens in einer der amerikanischen Militärbasen vier Millionen Asiaten vernichtet.«
Er wartete, in der einen Hand den Teller, in der anderen die Pistole. Eine kurze ratlose Stille wurde durch das Klimpern einer Münze unterbrochen, als Mrs. Elderman ihre Handtasche öffnete und Kleingeld an die Mädchen verteilte.
» Jede Währung wird angenommen. Vielen Dank. Vielen Dank, meine Liebe. Sie sind doch Christin, hoffe ich?« flüsterte er Mrs. Elderman zu, als er ihre Gabe entgegennahm.
»Genau gesagt, bin ich Humanistin«, erwiderte sie. »Mein Mann und ich finden es leider unmöglich, die Existenz Gottes zu akzeptieren.« Und schob das Kinn vor. »Aus wissenschaftlichen und psychologischen Gründen«, fügte sie hinzu.
»Sie haben offenbar moderne Ansichten«, gab Shamus nachsichtig zurück.
»Nun, sie sind offenbar nicht so modern wie die Ihren«, sagte Mrs. Elderman schlagfertig.
»Wie lange kennen Sie den Bräutigam?«
»Oh, schon länger, als ich gern zugebe«, quäkte sie und machte damit einen nervösen Scherz über ihr Alter, nämlich dreißig.
»Gut, gut, gut, gut . Die zweite Ankündigung«, fuhr Shamus zum Brautpaar gewandt fort, »betrifft eure Hochzeitsreise. Der Zug um neun Uhr vierzig hat Anschluß an den Schlafwagenzug aus Spiez. Also verpaßt ihn verdammt nicht. Kapiert, Cassidy?«
»Ja, natürlich.«
»Bitte alles aufstehen.«
Helen und Cassidy teilten sich den Ledersessel, den Shamus in die Mitte des länglichen Raumes geschoben hatte, um für die Neuankömmlinge Platz zu schaffen. Helen saß auf der Lehne und Cassidy auf dem Sitz, doch der Höhenunterschied machte die Unterhaltung schwierig. Dieses Arrangement war Cassidy nicht unlieb gewesen. Die zusätzliche Dunkelheit, die Helens Körper ihm verschaffte, die Möglichkeit, sich vorzustellen, er sei anderswo, hatten ihm vorübergehend eine Geborgenheit gewährt, aus der Helens Hand, die ihn sanft auf die Füße zog, ihn aufscheuchte.
»Aldo«, sagte Shamus.
»Ja.«
»Helen?«
»Ja.«
»Ehe ich dich, Aldo, mit dir, Helen, im heiligen Bund der Ehe zusammengebe, obliegt mir die Pflicht, noch einige all gemeine Bemerkungen« – ein Lächeln zu den Eldermans – »über die Zeremonie vorzubringen, deren Zeugen Sie sein werden.«
In den schlichten Wendungen, die einer kurzen Ansprache angemessen waren, erklärte Shamus den Neuankömmlingen kurz den Unterschied zwischen einer bürgerlichen Ehe, also zum Beispiel der Eldermanschen Ehe, der idealen Formel für die Viel-zu-vielen, und der wahren Ehe, die etwas sehr Seltenes sei und nicht das geringste mit ihnen gemein habe. Er sprach zu ihnen von Flaherty und der selbstverliehenen
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