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Wachsam

Wachsam

Titel: Wachsam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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Göttlichkeit und über den Unterschied zwischen dem Wunsch, miteinander zu sterben , der die neutestamentarische Ehe kennzeichne, und dem Wunsch, miteinander zu leben , dem Wesen des Alten Bundes. Danach sang er ein paar Takte aus dem nunc dimittis und verneigte sich mehrmals vor dem Bartlettdruck, der über dem Kamin hing.
    »Die totale Leidenschaft«, verkündete er mit starker, irischer Stimme – ein Zitat aus Flahertys Schriften, wie Cassidy argwöhnte –, »erfordert das totale Opfer –.«
    Er wollte fortfahren, wurde jedoch durch ein geflüstertes »Amen« von Beth Elderman unterbrochen, dem die helleren, gehorsamen Amens ihrer zahlreichen Töchter folgten.
    » Klappe halten «, gebot er ihr in unterdrückter Wut. »Mund halten, oder ich erschieße euch. Himmel, Lover …«
    »Sie hat es nicht bös gemeint«, sagte Cassidy.
    Er nahm das Gebetbuch auf – es wurde durch das Gewicht der Pistole offen gehalten – und las laut vor:
    » Und so frage ich euch beide und ermahne euch feierlich , so wie ihr werdet antworten am furchtbaren Tag des Gerichts , da die Geheimnisse aller Herzen offenbar werden – das ist nämlich jetzt , Lover. Nicht morgen, nicht anderntags, nicht im Christopher-Robin-Land, sondern jetzt – ja oder nein?«
    »Ja«, sagte Helen.
    »Ich spreche zu ihm. Deine Antwort kenne ich, du Hure, sei still, oder du kriegst noch eins verpaßt. Ihn meine ich, Cassidy. Unseren Lover. Bist du bereit oder nicht, diese Frau zu deinem dir ungesetzlich angetrauten Eheweib zu nehmen, ob sie krank sei, besoffen, verstümmelt, schwachsinnig und soviel sie auch herumhurt? Bist du bereit, alle anderen zu vergessen, auch die Leitkuh, die Kälbchen, den Bentley und –« er legte das Gebetbuch weg – »und mich, Lover«, sagte er sehr sanft, »denn darauf läuft es hinaus.«
    Helens Hand hielt die seine gefaßt. Cassidy hörte hinter sich das lockere, hartnäckige Husten seiner französischen Mutter und das Knarren der Kirchenstühle von der gewölbten Decke widerhallen. Diese Kinder, dachte er; die Eldermans; warum tun sie nicht etwas? Sie sind meine Freunde, nicht seine.
    »Lover.«
    »Ja.«
    »Diese Pistole ist zum Erschießen von Abtrünnigen, nicht von Lovern.«
    »Ich weiß.«
    »Wenn du nein sagst, dann erschieße ich dich todsicher, denn ich hasse dich nicht wenig. Das nennt man Eifersucht oder Emotion. Stimmt’s? Aber wenn du ja sagst und du willst sie nicht, glaube mir, das ist … das ist wirklich … nicht höflich.«
    Helen blickte ihn an, und er kannte ihren Blick, denn es war Sandras Blick, er umfaßte alles, den ganzen Vertrag über Leben und Sterben.
    »Sache ist die, Lover, wenn du sie dann abgeschleppt hast in deine Höhle, wird Daddy nicht da sein, um dir zu helfen. Du kannst sie haben, wenn du willst. Aber von diesem Augenblick an wirst du dir deinen Grund zum Leben selber suchen müssen. Ich kann nichts mehr für dich tun, und du kannst nichts mehr für mich tun.«
    »Nein.«
    »Was, zum Teufel, meinst du mit: nein? « fragte Helen und ließ seine Hand los.
    »Ich meine, er kann nichts mehr tun. Er hat recht.«
    »Du siehst«, erklärte Shamus, »obwohl sie ein dummes kleines Miststück ist, liebe ich sie. Deshalb ist sie so frech. Sie hat uns beide hereingelegt. Also biete ich dir alles an, was ich habe, und alles, was ich möchte: Und natürlich werde ich erledigt sein, wenn du es ausschlägst. Aber du mußt entscheiden. Laß dich nicht von diesem Miststück gängeln. Liebe dich, Lover.«
    »Liebe dich«, erwiderte Cassidy automatisch.
    Die ganze Zeit hatte Shamus ihn durch die Kerzen hindurch mit angespannter Aufmerksamkeit beobachtet, und Schweiß hatte sich auf seinem Gesicht gebildet, der jetzt wie krumme Tränen über die rasierten Wangen lief; aber seine Augen waren schwarz und stetig, als hätte weder die Qual noch die Glut seiner Folter irgend etwas mit seinen Worten zu tun. An Cassidys linker Seite flüsterte Helen drängend und klagend, aber er hörte nur Shamus; seine ganze Aufmerksamkeit galt entschieden nur Shamus.
    »Sagen Sie ja, Sie Idiot«, schrie Beth Elderman plötzlich von hinten, und Shamus hob die Pistole und hätte sie vielleicht ohne weiteres erschossen, wenn Helen sich nicht ins Mittel gelegt hätte. Nun schritt er um den Altar, nahm Cassidy am Arm und führte ihn in die entfernteste Ecke des Raumes, wo der Tisch gestanden hatte, ehe sie ihn wegschoben; in eine so dunkle Ecke, daß man sie kaum hören konnte.
    »Sie frißt für drei, Junge«, murmelte er.

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