Wachsam
Helen gebietet ihnen Einhalt. Er steht nackt auf einer Cocktail-Party, und sein Schamhaar sprießt bis über den Nabel, doch Helen bedeckt seine Blöße mit ihrem Ballkleid. Durch alle diese Anzeichen von Katastrophe und Bloßstellung hindurch signalisiert ein Instinkt ihm wie ein Leuchtturm: Sie ist warm und bebend in seinen Armen.
»Ich möchte Sie gern beide zum Diner einladen«, sagt Cassidy.
»Wenn Sie versprechen, normale Kleider zu tragen. Oder ist das gegen Ihre Religion?«
Plötzlich wird Helen seiner Umarmung entrissen, und statt ihrer fühlt Cassidy Shamus’ ungestümes Herz durch das blaue Jackett hämmern: riecht den Schweiß und Holzrauch und Whiskydunst, der in dem weichen Stoff lagert, hört die dunkle Stimme ihm voll Liebe zuhauchen:
»Nie und nimmer hast du dieses Scheißhaus kaufen wollen, wie? Du hast ein wenig geträumt, nicht wahr, Lover? Stimmt’s?«
»Stimmt«, gestand Cassidy und errötete tief. »Ich wollte es überhaupt nicht kaufen.« Vom gleichen Impuls bewegt, drehten sie sich nach Helen um, doch sie war fort und hatte ihr Radio mitgenommen. Seine fernen Klänge erreichten sie gerade noch aus dem Korridor.
»Ich vermute, sie zieht ihre Schuhe an«, sagte Cassidy.
»Los. Fahren wir sie im Bentley spazieren.«
»Ja«, sagte Cassidy. »Würde ihr Spaß machen, nicht wahr?«
5
Als er früh am nächsten Morgen in der Euphorie eines schmerzlosen Katzenjammers nach London unterwegs war, rief Cassidy sich alle Ereignisse jener wundersamen Nacht ins Gedächtnis zurück.
Als erstes tranken sie, um eine gewisse allgemeine Befangenheit zu überwinden, noch mehr Whisky. Gott allein wußte, wo Shamus ihn herhatte. Er schien in jeder Kleidertasche Flaschen zu haben und sie wie ein Zauberer hervorzuziehen, sobald eine Flaute eintrat. Zunächst zögernd, dann mit wachsender Begeisterung spielten sie nochmals die lichteren Augenblicke ihres, wie Cassidy es nannte, kleinen Mißverständnisses durch, und sie veranlaßten Shamus, waschechtes Irisch von sich zu geben, was er bereitwillig tat, und Helen sagte, es sei erstaunlich, er sei im Leben nie in Irland gewesen, aber er könne sich Akzente zulegen wie man Kleider anzieht. Dann mußte Cassidy die Hosenträger ausziehen, und sie spielten alle drei Billard bei Kerzenschein. Es war nur ein Queue vorhanden, in den sie sich teilten, und eine Kugel und eine Kerze, daher erfand Shamus ein Spiel, das sie Motte nannten. Cassidy mochte Spiele gern, und sie fanden alle, es sei sehr tüchtig von Shamus, daß er sofort eines erfunden hatte. Shamus gab die Spielregeln bekannt, wozu er sich des Tonfalls eines Feldwebels bediente, an den Cassidy (der selber häufig Stimmen imitierte) sich noch genau erinnerte.
»Für das Motten-Spiel wird die Kerze genau in der Mitte aufgestellt, hirr . Dann wirrd die Kugel im Urrzeigersinn um die Kerrze geschickt, und zwarr nurr im Urrzeigersinn. Derr Spielstand wirrd folgenderrmaßen berrechnet: ein Punkt fürr jede komplette Rrunde um die Kerrze, fünf Strrafpunkte, sooft die Kugel überr den Tischrrand hinausrrollt. Helen, Aaan-Stosss!«
Es gab eine Herren-Wertung für Shamus und Cassidy und eine Damen-Wertung für Helen. Helen gewann mit sechs Punkten, doch insgeheim betrachtete Cassidy sich als Sieger, weil Helen die Kugel zweimal vom Tisch gestoßen hatte, und sie hatten es ihr nicht angerechnet; aber er ließ es gelten, weil es ja nur Spaß war. Außerdem war es ein Männerspiel; ein weiblicher Sieg war nur eine chevalereske Geste.
Nach dem Motte ging Shamus sich umziehen, und Helen und Cassidy blieben allein auf dem Sofa sitzen und tranken ihren Whisky aus. Sie trug ein schwarzes Kleid und schwarze Lederstiefel, und Cassidy dachte, sie sehe aus wie Anna Karenina im gleichnamigen Film.
»Ich finde, Sie sind ein wundervoll ritterlicher Mann«, eröffnete ihm Helen. »Und Shamus war ausgesprochen gräßlich .«
»Ich habe nie Menschen wie Sie beide gesehen«, versicherte Cassidy ihr wahrheitsgetreu. »Wenn Sie gesagt hätten, Sie seien die Königin von England, ich wäre nicht die Bohne überrascht gewesen.«
Dann kam Shamus zurück; er sah wirklich sehr schmuck aus und sagte im Tonfall des Wilden Westens Hände weg von meinem Girl , und sie stiegen alle in den Bentley und fuhren zu ›Vogel und Baby‹, was Shamus’ Name für ›Adler und Kind‹ war. Es war vorgesehen, daß sie dort essen sollten, aber Helen erklärte Cassidy unter vier Augen, sie würden höchstwahrscheinlich nicht dort essen, denn Shamus
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