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Wachsam

Wachsam

Titel: Wachsam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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ehrerbietig.
    »Unwahrscheinlich. Sie ist fünfzig im Schatten.«
    »Sie ist fabelhaft«, sagte Shamus. »Diese Dame ist erste Klasse. Glauben Sie mir.«
    »Ist sie«, pflichtete Cassidy schon halb schlafend bei. Helens Kopf ist auf seine Schulter gefallen, und sie hat ihre Finger zwischen die seinen geschlungen, und er pflichtet mit Freuden allem bei, als sie plötzlich hören, wie Shamus mit seiner Italienerstimme ins Mikrophon spricht.
    » Ich dich haben wollen «, flüstert er leidenschaftlich. » Ich dich lieben und ich dich haben wollen . Ich Sehnsucht nach dir .«
    »Ist sie schwarzhaarig?« fragt er den Fahrer.
    »Schwärzlich.«
    »Du mit mir schlafen«, keucht Shamus wieder ins Mikrophon. »Ficki-ficki.«
    »Sie ruft bereits die Polizei«, sagt Cassidy.
    »Sie packt bereits ihre Koffer«, sagt Helen.
    »Ein Prachtweib«, sagt Shamus.
    Es klingt nach einem heraufziehenden hysterischen Anfall, als das Funkgerät wieder spricht. »Peter Eins … Peter Eins … wer ist das?«
    »Nicht Peter Eins. Peter Eins ist tot. Mein Name ist Dostojewskij«, meldet sich wieder Shamus, der geschickt auf die tieferen russischen Töne umgeschaltet hat. »Ich ermordete soeben Peter Eins ohne einen Funken Schuldgefühl. Es war ein crime passionnel . Ich will Sie ganz für mich allein haben, ich liebe Sie. Eine Nacht mit Ihnen wiegt lebenslänglich in Sibirien auf.« Das Radio blubbert, findet aber keine Worte. »Achtung, ich bin auch Nietzsche. Ich bin kein Mensch. Ich bin Dynamit. Verstehen Sie nicht« – knüppeldickes Russisch –, »daß die Immoralität eine notwendige Vorbedingung zu neuen Werten darstellt? Hören Sie, wir wollen gemeinsam eine neue Klasse begründen. Wir wollen eine Welt von unschuldigen, mörderischen, schönen Knaben zeugen! Wir –«
    Der Fahrer nimmt ihm behutsam das Mikrophon weg. »Alles in Ordnung, meine Liebe«, sagt er freundlich. »Ich hab’ einen Spaßvogel hier drin, weiter nichts.«
    »Spaßvogel?« kreischt das Radio durch die Störgeräusche. »Verdammter Ausländer/der meine Fahrer umbringt, mitten in der …«
    Der Fahrer schaltet sie ab. »Morgen früh wird sie mich umbringen«, sagt er ohne große Beunruhigung.
    Shamus ist eingeschlafen. »Tolle Weiber hier, Boy«, murmelt er.
    »Ich würde so gern wieder Motte spielen«, sagt Cassidy.
    »Motte war super«, sagt Helen, und Cassidys Hand empfängt einen weiteren freundschaftlichen Druck.
     
    Auf dem endgültigen Nachhauseweg ließen sie den Bentley vor einer Telefonzelle halten und versuchten, Flaherty anzurufen, damit Shamus nochmals die Aufrichtigkeit seiner Überzeugung nachprüfen könnte. »Ein Mensch ist das, was er zu sein glaubt «, erklärte Helen mit den Worten des Meisters. »Das versteht Shamus unter Glauben.«
    »Er hat hundertprozentig recht«, sagte Cassidy.
    Cassidy meldete das Gespräch an, weil er eine Kreditkarte der Post besaß, und Shamus hatte erstaunlicherweise die Nummer säuberlich an den Rand eines Zeitungsausschnittes aus der Daily Mail notiert. »Die Dorfkneipe von Beohmin«, erklärte er. »Abends ist er meistens dort.« Sie quetschten sich alle drei hinein und schlossen die Tür, damit es gemütlicher sei. Doch ach, Flaherty war nicht erreichbar. Etwa fünf Minuten lang horchten sie auf das Freizeichen. Cassidy war insgeheim heilfroh – schließlich hätte es recht peinlich werden können –, aber Shamus war gekränkt und enttäuscht, er ging vor ihnen zum Wagen zurück und kletterte wortlos auf den Rücksitz. Lange fuhren sie schweigend dahin; während Helen, die nun neben ihrem Mann saß, ihn mit Küssen und kleinen Aufmerksamkeiten tröstete.
    »Der Hundsfott!« erklärte Shamus schließlich mit brüchiger Stimme. »Sollte nicht mal ein Scheißtelefon nötig haben.«
    »Natürlich nicht«, pflichtete Helen zärtlich bei.
    »He, schaut mal«, sagte Shamus, richtete sich steil auf und beobachtete, wie das unnatürliche Mondlicht über die Hecken rieselte. »Kolynos Scheinwerfer!«
    »Jod-Quarz«, sagte Cassidy. »Halogen. Das Allerneueste.«
    »Miiau«, sagte Shamus und kehrte zu Helen zurück.
     
    Als sie wieder in Haverdown waren, veranstalteten sie – nach einer Erfrischungspause – ein Pferderennen. Shamus war Nijinsky, Cassidy war Dobbin. Der Start war ihm entfallen, und er wußte nicht mehr, wer gewonnen hatte, aber er erinnerte sich deutlich an das Donnern ihrer sechs Füße, als sie teppichlose Hintertreppen hinuntergaloppierten, und an Shamus’ Butlerton, während er eine versperrte Tür

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