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Wachsam

Wachsam

Titel: Wachsam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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statt dessen einen großartigen Lunch. Er hatte ein neues Restaurant in der Lisle Street entdeckt, wo es mille feuilles mit Schokoladencreme gab, und er aß zwei Portionen zum Kaffee.
    Was habe ich empfunden? fragte er sich und starrte mürrisch aus dem Fenster. Was habe ich gelernt? Was hatte er der Menschheit Gutes getan? Wichtiger noch, was hat die Menschheit mir Gutes getan? Antwort: nichts. Ein Vakuum. Cassidy lebt in einem Vakuum. Armer Cassidy. Armer Bär. Armer Bär Pailthorpe .
    Und wahrscheinlich geschah es, um dieses Vakuum zu füllen, überlegte Cassidy, wenn ich jetzt gesündigt habe. Schwer gesündigt. Mutter, gegen den Himmel und gegen Dich. Gegen Sandra und (das wollte er eingestehen) auch gegen sein eigenes Fleisch und Blut …
     
    Es war zuviel für ihn. Cassidy wies die beschämende Erinnerung an seinen jüngsten und provozierendsten Seitensprung von sich und machte sich wieder daran, seinen Tribut an väterlicher Weisheit zu entrichten.
    Hugo geht’s prächtig , er freut sich natürlich schon sehr darauf , nächstes Jahr zu Dir nach Hearst Leigh zu kommen . Neulich war ich mit ihm im Kino . Wir riefen zuvor den Geschäftsführer an , und er war sehr freundlich und sorgte dafür , daß ein Rollstuhl im Gang abgestellt werden konnte . Wir sahen High Noon. Die Schießereien haben Hugo Spaß gemacht , bei den Liebesszenen wurde er aber ungeduldig .
    Hugo : » Bringt er sie um? «
    Ich : » Nein , er umarmt sie .«
    Hugo : » Warum schießen sie nicht lieber? «
    Ich : » Das kommt noch , sobald sie sich umarmt haben .«
    Alle Umsitzenden lachen schallend .
    Er hat sich wahrhaftig gut an sein Gipsbein gewöhnt , ich glaube beinah , er wird bitter enttäuscht sein , wenn es aufgeschnitten wird! Zuweilen wird er natürlich trotz allem ein bißchen quengelig , besonders wenn das Wetter so schön ist wie jetzt und die Elderman-Mädchen draußen auf der Heide spielen dürfen , dann muß Vater kommen und den wilden Mann markieren …
    »Herein!«
    Ein Klopfen an der Tür. Sein Magen gefror in Panik. Telegramm von Sandra? HABE DICH FÜR IMMER VERLASSEN ABENDESSEN IM KÜHLSCHRANK SANDRA?
    Besuch eines Steuerinspektors: Eine Stichprobe, Sir, bitte sehr, hier ist meine Vollmacht.
    Ihre Mutter, Mrs. Groat, hat angerufen, sie ist an ihrem falschen weißen Stock durch den Korridor getappt. Hallo, Darling, hihi, hihi, sie ist tot, fürchte ich, nicht wahr?
    Es war Meale, ein hochqualifizierter Nachwuchsmann, der auf der Schwelle erschien. Ein verklemmter, unappetitlicher Bursche, den sie von Bee-Line, ihrer Konkurrenz, abgeworben hatten. Ausarbeiter endloser Plantabellen, kein bißchen Charme, aber groß auf dem Gebiet der Marktforschung. Neu. Nun, Cassidy würde fair zu ihm sein. Meale war vom Leben stiefmütterlich behandelt worden, und Cassidy mußte Nachsicht üben. Auch die Verbesserungssucht nahm er Meale nicht übel. Wo würde Cassidy heute sein, wenn er nicht gewagt hätte, den Markt bis an die Grenzen des Möglichen auszunutzen? Zudem war der Junge eine Ablenkung, und genau das hatte Cassidy nötig.
    Mit einer kleinen, gut gespielten moue der Überraschung erwachte der Herr Vorstandsvorsitzende und Generaldirektor aus seinen schwerwiegenden Überlegungen.
    »Ah, sieh mal an, Meale! Guten Morgen. Meale, nehmen Sie Platz. Nicht dort, hier. Kaffee?«
    »Nein, vielen Dank, Sir.«
    » Ich trinke eine Tasse.«
    »Ja, dann vielen Dank. Ich hätte nur gern gewußt, ob Sie schon Gelegenheit hatten, mein Planungsprogramm zu lesen, Sir.«
    Manieren, Meale, vor allem Manieren. Sie sollen mit mir Kaffee trinken.
    »Zucker?« erkundigte Cassidy sich freundlich.
    »Ja, Sir.«
    »Und Milch?«
    »Wenn ich bitten darf, Sir.«
    In die Sprechanlage: »Kaffee bitte, Miß Orton, Milch und Zucker, und für mich wie immer.«
    Abschalten. Brille zurechtrücken. In vertraulichen Papieren blättern. Nach dem kostbaren imitierten Leuchter blinzeln. Und es nicht übers Herz bringen, einen Menschen zu enttäuschen, der um Rat fragt.
    »Es gefällt mir, Meale. Ich finde es gut , und ich finde es richtig .«
    »Wirklich, Sir?«
    »Ja. Mächtig gut. Sie können mächtig stolz auf sich sein. Ich jedenfalls bin’s. Ich meine, stolz auf Sie, ha, ha, nicht auf mich .«
    Kleine Pause; ein Schatten von Unzufriedenheit, von Argwohn. »Da fällt mir ein« – neuerlicher Griff nach Miß Ortons herausforderndem Knöpfchen –, »vielleicht möchten Sie lieber Tee, wie?«
    »O nein , Sir.«
    »Ah.«
    Die Hände wiederum in kritisch-wohlwollender

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