Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wachsam

Wachsam

Titel: Wachsam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
Vom Netzwerk:
raus mit Dir.‹
    Oder kniefällig bitten:
    ›Sandra, Du brichst mir das Herz. Bitte, bitte, bitte…‹
    Worum bitten? Was könnte sie noch tun, damit ich ihr dafür danken würde?
    Was mich betrifft, nun, so muß ich gestehen, daß ich nicht viel Zeit für irgend etwas erübrigen konnte, aber die Papiere auf meinem Schreibtisch und dieser Fluch der Menschheit, das Telefon …
    Was betraf ihn eigentlich?
     
    Finster, den unvollendeten Brief vor sich, machte er Zwischenbilanz. Vier Wochen waren seit dem Besuch in Haverdown vergangen. Er hatte Sitzungen geleitet, die Fachpresse gelesen, ein Grußwort ihres Präsidenten zur bevorstehenden Pariser Messe verfaßt, weitere Versicherungen abgeschlossen für Privatbehandlung, Altersvorsorge und plötzlichen Tod, mit Buchprüfern über den Aprilzahlen für das auslaufende Geschäftsjahr gesessen, Reden aufgesetzt für die Hauptversammlung der Aktionäre. Er hatte mit hohen Funktionären gewisser Wohlfahrtseinrichtungen zu Mittag gegessen, denen er – unverbindlich – große Summen zu obskuren Bedingungen angeboten hatte. Er hatte mit den Nondescripts zu Abend gegessen und mit beträchtlichem Erfolg seinen Witz von den beiden Nylonstrümpfen wiederholt. Er hatte einen Vorarbeiter unter dem Verdacht der Werkspionage entlassen und durch diplomatisches Geschick einen Ausstand verhindert. Er hatte ein Sparkonto in Amsterdam eröffnet und einen erbitterten Kampf mit dem Export Credit Guarantee Department ausgefochten und gewonnen. Er hatte eine Matinee in einem der kleineren Theater in Soho besucht und seine lange und kostspielige Korrespondenz mit Somerset House über seinen Stammbaum fortgeführt. Zur Zeit ging es um einen Cassidy, der bei Marston Moore mitgekämpft hatte, in Cromwells berühmter Schlacht gegen Prinz Ruperts Reiterei; doch offenbar hatte die Anstrengung ihn erschöpft, denn seitdem war er restlos verschollen. Cassidy gewann allmählich, nach sechs Jahren, den Eindruck, die Korrespondenz drohe ebenso lang und fruchtlos zu werden wie der Bürgerkrieg selber. Er hatte den Bentley zu Park Ward’s gebracht und ihn dort gelassen, während die Mechaniker ehrfürchtig einem angeblichen Rattern der linken Vordertür auf die Spur zu kommen suchten. Er hatte mit seinem Konkurrenten Golf gespielt und mit seinen akademisch ausgebildeten Nachwuchskräften Squash. Die Konkurrenten hatten die Nasen gerümpft über die Anzahl seiner Schläger, und die Nachwuchskräfte sagten »Sorry Sir« und berichteten ihm, wie sehr Oxford sich verändert habe. Er hatte seiner Sekretärin, Miß Mawdray, Briefe diktiert und über den Rand seiner unnötigen Brille hinweg ihre jugendliche Gestalt gemustert. (Seine Brille hatte nichts gemein mit der Brille von Sandras Mutter. Cassidys Brille verschaffte ihm Ansehen; Mrs. Groats Brille kündete von ihrer Hilflosigkeit.)
    Sein Stirnrunzeln vertiefte sich.
    An dieser Stelle, das gab er zu, hatte der Cassidysche Seismograph gewisse angenehme Beben verzeichnet. Miß Mawdray war ein hübsches begehrenswertes Mädchen, dunkel wie Sandra, aber größer, hatte die Figur einer Schwimmerin und eine Schwäche für Griechenland. Freitags trug sie einen Poncho mit Schafwollquasten, und dienstags las sie ihm sein Horoskop vor, ihre Knie waren dabei wie kleine Popobäckchen zusammengepreßt, die Ohrspitzen lugten durch das lange braune Haar.
    »Welches finstere Schicksal haben Sie diese Woche für mich in petto, Angie?« hatte er sie gestern vormittag gefragt und seine Gelüste hinter einer Fassade väterlicher Nachsicht versteckt, während er aufmerksam den kühnen Prophezeiungen lauschte, die sie einer unter seinem Niveau liegenden Zeitschrift entnahm. Sie war unlängst mit einem Verlobungsring erschienen, verweigerte jedoch jede Auskunft über dessen Herkunft. Wahrscheinlich ist der Bursche verheiratet, schloß Cassidy mit hochmütiger Mißbilligung; diese Mädchen sind heute alle gleich.
    Schlimmer noch, sie hatte den Tag freigenommen.
    Bei einer anderen Gelegenheit während dieses ganzen Zeitraumes hatte Cassidy einen ausgesprochenen Stoß bekommen. Bei einer Routineversammlung seines Fachverbandes hatte das verdienstvolle Mitglied aus einem Grund, den er bis heute nicht benennen konnte, einen ätzenden und unverdienten Ausfall gegen das Handelsministerium vom Stapel gelassen. Die Rede wurde weithin als deplaciert betrachtet, und ein paar Tage lang hatte er mit dem Gedanken an Selbstmord gespielt. Zum Glück überwog die Vernunft, und er leistete sich

Weitere Kostenlose Bücher