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Wachsam

Wachsam

Titel: Wachsam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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war damals ein Windhund gewesen, wendig, schnell und unermüdlich. Faulk, sein Werbechef, heute ein fast kahlköpfiger stadtbekannter Homo, war in jenen Tagen der scharfzüngige Schleuderer unwahrscheinlichster Slogans gewesen. Heute hatte, mit den Erfolgen, die hinter ihnen, und den Buchprüfungen, die vor ihnen lagen, ein Nachlassen des Tempos, gewissermaßen eine Beruhigung des kommerziellen Verdauungsvorgangs ihren jugendlichen Feuereifer ersetzt. Noch vor einem halben Jahr hatte er selber als erster diese Abgeklärtheit begrüßt. Einigeln , hatte er es in einem längeren Interview genannt; zur Ruhe kommen , und bestimmte durch sein eigenes Verhalten den neuen Ton. Die Schlacht ist geschlagen , wir sind in die stilleren Gewässer eines langen und gedeihlichen Friedens eingefahren , hatte er seinen Aktionären bei der letzten Jahresversammlung versichert. Großartig. Und wenn man sich eingeigelt hat? Und wenn man zur Ruhe gekommen ist? Was hat man dann? Die Erinnerung, und das ist verdammt alles. »Erinnerst du dich noch an die Nacht, in der wir unseren ersten Prototyp zusammenschweißten?« sagte Cassidy auf jeder Christmas-Party zu Lemming. »In dem alten Fahrradschuppen hinter dem Spielzeugladen? Erinnerst du dich noch, wie uns die Flaschen ausgegangen sind und wir deine Missus aus dem Bett klingeln mußten, he, Arthur?«
    »Himmlischer Vater«, erwiderte Lemming dann und zog an seiner Zigarre, während die Jungen an seinen Lippen hingen, »und sie war vielleicht wütend, was?«
    Ach, wie sie über das Gestern lachten.
    Muß mich jetzt sputen. Versprach, Großpapa meinen vierzehntäglichen Besuch zu machen, dann heim zu Mummy. Bin schon neugierig, was sie zum Abendessen gerichtet hat, Du nicht? He, Mark, da fällt mir etwas ein: Ist der Gedanke nicht spaßig, daß eines Tages Du, hier an diesem Schreibtisch, vielleicht diese selben Worte an Deinen geliebten Sohn schreiben wirst? Nun also, leb wohl. Bedenke, das Leben ist keine Bürde, sondern ein Geschenk, und Du bist gerade erst dabei, die Verpackung zu öffnen.
    Dad .
    PS Übrigens , hast Du von dem außerordentlichen Fall dieses Iren namens Flaherty in County Cork gelesen , der überall behauptet , er sei der Liebe Gott? Ich bin überzeugt , daß nichts daran ist , aber wissen kann man es nie . Wahrscheinlich hast Du es nicht mitgekriegt , ich weiß , daß Du dort unten nur den Telegraph bekommst , trotz des Briefes , den Deine Mutter an Mr .  Grey schrieb .
     
    »Lassen Sie sich Zeit«, sagte er zu dem Fahrer.
    Cassidys Einstellung zu seinem Vater wechselte. Old Hugo bewohnte ein Penthouse in Maida Vale, das Firmenbesitz war und ihm mietfrei überlassen wurde als Entgelt für nicht genauer bezeichnete Beratungsleistungen. Durch die vielen großen Fenster verfolgte er, so schien es Cassidy, die Fortschritte seines Sohnes durch die ganze Welt, wie einst das Auge Gottes Kain durch die Wüste gefolgt war. Vor ihm konnte man sich nicht verstecken; sein Spionagenetz war weit gespannt, und wo es versagte, sprang seine Intuition ein. In schlechten Tagen betrachtete Cassidy ihn als unerwünscht und machte detaillierte Pläne, ihn zu ermorden. In guten Zeiten bewunderte er ihn sehr, besonders wegen seines Riechers. In seinen jüngeren Jahren hatte Cassidy gründliche Recherchen über Old Hugo angestellt, einstige Bekannte in Clubs ausgeholt und sich durch Veröffentlichungen aller Art gewühlt; doch an Tatsachen über ihn kam man, wie an Tatsachen über Gott, schwer heran. In Cassidys Kindheit hatte Old Hugo anscheinend ein Priesteramt bekleidet, vermutlich in einer nonkonformistischen Glaubensgemeinschaft. Auf dem Ermittlungswege konnte Cassidy die Verbindung zu Cromwell zutage fördern sowie gewisse Erinnerungen an eine Fichtenholz-Kanzel an einem kalten Tag, darin eingezwängt Old Hugo, wie ein Ei in einem Eierbecher, und das zarte Kind allein auf einem vorderen Kirchenstuhl, wie Christus unter den Schriftgelehrten. Jedoch war nach einiger Zeit – eine sehr variable Größe in Old Hugos Inkarnationen – der Herr seinem Hirten im Traum erschienen und hatte ihm offenbart, daß es sich besser bezahlt mache, die Leiber zu nähren als die Seelen, und der gute Mann hatte dementsprechend das geistliche Gewand abgetan und sich dem Hotelgewerbe zugetan. Die Quelle dieser Information war, ganz natürlich, Old Hugo selber, denn niemand außer Gott hatte an seinem Traum teilgehabt. Oft, so sagte er immer wieder, habe er diese gottbefohlene Entscheidung bedauert, dann

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