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Wachsam

Wachsam

Titel: Wachsam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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gekauft. Zerbombt. Ausradiert. Von einer Abbruchfirma bis auf den letzten Ziegel weggeputzt, wie Fleisch vom Knochen weggenagt von den gelben Zerstörungsmaschinen, nicht einmal eine Türschwelle für Rosensträuße war geblieben.

14
    Der Tag der unverbindlichen Aktionärsversammlung dämmerte mit der ganzen drohenden Hochspannung einer Premiere herauf, für die die Hälfte aller Kostüme noch beim Verleih sind. Diese Treffen waren einst Cassidys brillante Erfindung gewesen, ein völlig neues Konzept in der Firmenpolitik, das die Beziehung zwischen Aktionären und Firmenleitung verbessern sollte. Einst hatte der geschickte Generaldirektor wie von der Kanzel seines Vaters aus zu seinen getreuen Kirchenältesten gesprochen: hatte anfangs vierteljährlich, dann alle sechs Monate den Zweifel aus ihren Seelen gefegt und sie mit neuem Glauben erfüllt. Andere Aktiengesellschaften, so betonte er, erteilten so wenig Information wie irgend möglich; die Firma Cassidy würde den umgekehrten Weg einschlagen. Doch wie so oft hatte die Zeit aus der Revolution eine Institution gemacht: Jetzt fand die Versammlung einmal jährlich statt, eine sperrige Mischung zwischen Vorstandssitzung und Jahreshauptversammlung und nach Cassidys revidierter Meinung mit mehr Schwierigkeiten verbunden als die beiden zusammen.
    Gegen drei Uhr waren die ersten Eindringlinge im Bereich des Sitzungssaales im Erdgeschoß gesichtet und Cassidy durch eine Stafette shakespearescher Unglücksboten gemeldet worden. Der Earl des Unternehmens, ein abgedankter Stahlmagnat, der aus Schottland heruntergeflogen war, hatte eine halbe Stunde lang im Warteraum gesessen, ehe ihn jemand erkannt hatte, und war jetzt im Konferenzzimmer und trank Wasser aus der Karaffe. Meale (gut für seinen Schliff, dieser ekelhafte Pinscher) war losgeschickt worden, um zwanglos mit ihm zu plaudern.. Ein pensionierter Gewerkschafter namens Aldebout, den man sich zur Beschwichtigung von Betriebsratsauseinandersetzungen hielt, war gesichtet worden, wie er den Tee in der Kantine kostete.
    »Hab’ ihm gesagt, er geht auf Firmenrechnung«, sagte Lemming stolz. »Für eine Tasse Tee tun solche Kerle rein alles.«
    Zwei braunbemäntelten Damen aus Shepton Mallet war ihr Kleinwagen von der Polizei abgeschleppt worden.
    »Die vordere Stoßstange haben sie auch abgerissen«, sagte Angie Mawdray, die von ihrem Fenster aus das Manöver verfolgt hatte. Ein Lagerist erhielt Befehl, den Wagen zurückzuholen und die Strafe zu zahlen.
     
    Hinter den Kulissen herrschte notdürftig gebändigtes Chaos. Heute war Freitag. Die Messe wurde Montag eröffnet. Die neuen Z-Feder-Chassis, die trotz Lemmings Sabotageversuchen schließlich doch noch zusammengebaut worden waren, waren per Luftfracht nach Le Bourget vorausgeschickt worden, doch der französische Spediteur rief an, um mitzuteilen, daß sie nach Orly umgeleitet worden seien. Eine Stunde später rief er abermals an. Das Chassis war vom französischen Zoll beschlagnahmt worden unter dem Verdacht, wie der Spediteur vermutete, es könne sich um Waffenteile handeln.
    »Schmieren Sie sie! Herrgott noch mal, schmieren Sie sie!« brüllte Cassidy ins Telefon, und sein mütterliches Französisch war wie weggeblasen. »Sch …« und zu Angie, die mit einem Wörterbuch daneben stand: »Was, zum Teufel, heißt schmieren auf französisch?«
    »Shmirer«, schlug Angie prompt vor.
    »Korrumpieren!« plärrte Cassidy. » Corruptez !« aber der Spediteur sagte, sie seien bereits korrupt.
    Bald darauf wurde die Verbindung getrennt. Ein verzweifelter Anruf bei Bloburg, dem Pariser Vertreter, blieb erfolglos. Es war das Fest des heiligen Antonius; Monsieur Bloburg respektierte die Landessitte. Als die Versammlung um vier Uhr eröffnet wurde, war noch immer keine weitere Meldung von der Krisenfront eingegangen. In einer anderen Ecke des Gebäudes war eine Schlacht um die revidierte Werbeschrift im Gange. Die erste Ausgabe, die nach endlosem Geplänkel zwischen Export und Werbung in letzter Minute in Druck gegangen war, wimmelte von verschobenen Zeilen und mußte zurückgeschickt werden. Während die zweite Ausgabe noch mit Hangen und Bangen erwartet wurde, entdeckte Cassidy zu seinem Zorn, daß sie keinen deutschen Text enthielt.
    »Um Himmels willen!« brüllte er. »Muß ich mich denn um alles selber kümmern?«
    Wer sprach deutsch? Lemming hatte im Krieg gegen die Deutschen gekämpft und dachte nur in finsterem Haß an sie. Er verweigerte seine Mitarbeit. Faulk war zwar

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