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Wachsam

Wachsam

Titel: Wachsam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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hinterm Ohr. Er hatte gewußt, daß es ein Stein war, hatte ihn kommen und fallen sehen, die Landkarte darauf gesehen, vor allem die Schweizer Alpen, das Angelhornmassiv in der Mitte. Die Entfernung zum Boden war viel weiter, als er gedacht hatte. Er hatte noch Zeit, die Flasche beiseite zu stoßen, ehe er landete, und Zeit, den Arm hochzureißen, ehe sein Kopf auf den Schotter schlug. Dann hielt Shamus ihn in den Armen, küßte ihn, goß ihm Wein zwischen die Zähne, verzeih, Lover, und weinte, würgte wie Old Hugo in der Bahn, und der Junge zog einen kleinen braunen Fisch aus dem Wasser, einen Kinderfisch für eine Kinderangel.
     
    »Warum, zum Teufel, hast du das getan?« fragte Cassidy.
    Shamus saß ein Stück von ihm weg in selbstgewählter Weltabgeschiedenheit, er hatte reuig die Baskenmütze über die Augen gezogen, sein nackter Rücken wurde vom schmutzigen Wasserspiegel des versiegenden Flusses quer entzweigeschnitten. Er sagte nichts. »Verdammt komisches Benehmen, das muß ich schon sagen. Zumal für einen Meister des Wortes.«
    Der Junge warf den Fisch ins Wasser zurück. Er hat entweder den Vorfall nicht gesehen, oder er hatte schon so viele derartige Vorfälle gesehen, daß Blut ihn nicht mehr aufregte.
    »Hör um Himmels willen auf, dich mit diesem Stein zu schlagen«, fuhr Cassidy gereizt fort. »Sag mir nur, warum du es getan hast, und Schluß. Wir haben alles getan, was du wolltest. In dem verdammten Fluß halb erfroren, um unsere Identität zu spüren, unsere neuen Anzüge ruiniert, uns Lungenentzündung geholt, und plötzlich steinigst du mich. Warum? «
    Silentium . Fast unmerklich bewegte die Baskenmütze sich verneigend.
    »Schön, du hast gesagt: Du willst nicht nach Paris zurück. Gut. Aber nicht einmal die größten Liebenden können ihr ganzes Leben lang an einem ausgetrockneten Fluß kampieren. Und warum willst du nicht nach Paris zurück? Paßt dir das Hotel nicht? Hast du plötzlich genug von den großen Städten?« Pause. »Hat es etwas mit Dale zu tun? Mit deinem Buch?«
    Diesmal bewegt die Baskenmütze sich überhaupt nicht, weder verneinend noch bejahend; die Baskenmütze verhält sich so regungslos wie Sandra an der Tür, wenn sie böse mit ihm ist, weil er nicht komisch ist, weil er ihr nicht die Tragik verschafft, für die sie erzogen wurde.
    »Shamus, um Gottes willen. Im einen Augenblick sind wir auf dem besten Weg zu warmen Brüdern, im nächsten versuchst du, mich zu töten. Was zum Henker ist mir dir los?«
    Wie vom Wind geschüttelt, schwankt der nackte Rücken. Endlich hebt der Büßer die Flasche, trinkt.
    »He«, sagte Cassidy und kroch zu ihm. »Ich will auch etwas.« Er streckte die Hand aus und erhielt nicht den Wein, sondern die verknautschte Nelke aus Shamus’ Knopfloch. Cassidy hob sacht die Baskenmütze und sah, daß die Tränen sich am Rand gesammelt hatten.
    »Laß gut sein«, sagte er sanft. »Es hat nicht weh getan, Ehrenwort. Ich glaube nicht einmal, daß du es getan hast. Schau, schau, keine Beule, kein Pochen, nichts. Fühl mal, komm, leg deine Hand darauf.«
    Er hob Shamus’ schmutzige Hand und legte sie an seinen Kopf.
    »Du mußt mich lieben, Lover«, flüsterte Shamus, während die Tränen flossen. »Ich brauche es, wirklich. Das war noch nichts gegen das, was ich dir antue, wenn du mich nicht liebst.«
    Seine Hand war wie eine zweite Firmung, leicht und voll Gefühl zitterte sie auf Cassidys Skalp.
    »Mit Haut und Haar, du mußt dich mir mit Haut und Haar geben. Ich tue es. Ich habe dir einen Blankoscheck gegeben, Lover. Wirklich.«
    »Ich versuche, dich zu verstehen«, versprach Cassidy. »Ich versuche es. Wenn du mir nur sagen würdest, was es war.«
    »Du mieser kleiner Bourgeois«, sagte Shamus resigniert. »Du wirst es nie schaffen, Himmel!« rief er plötzlich. Er ließ Cassidys Hand los und sprang hoch. »Meine Identität! Sie ist kaputt!«
    Er wies auf ein Büschel struppigen Grases, wo mit dem Rücken nach oben sein Paß lag. Ein toter Schmetterling, die Flügel, die nie wieder fliegen würden, weit ausgebreitet. Die blaue Farbe rann ins Gras.
    »Sie verblutet«, flüsterte er und hob den Paß mit beiden Händen auf. »Lover, hol einen Krankenwagen.«
     
    Im Postamt des Dorfes kauften sie, voll angekleidet, einen französischen Briefumschlag und schickten ihre Nelken an Helen. Die Gummierung schmeckte nach Pfefferminze, und die Nelken waren nicht mehr jung.
    Und zwei Segelflieger, die sie näher zu Flaherty bringen sollten, und einen

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