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Wachsam

Wachsam

Titel: Wachsam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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Drachen für die Beförderung der Gebete.
    Und ein Schreibheft, denn auf dem Rückweg nach Paris würde Shamus einen neuen Roman anfangen, über das Thema David und Jonathan. Außerdem hatte er das alte im Fluß verloren, und die Vergangenheit konnte ihm gestohlen bleiben.
     
    Die Straßen nach Paris , schrieb Cassidy in seinen privaten Baedecker, in jener blumenreichen Prosa, die ebenfalls zu Old Hugos unzähligen Zuwendungen gehörte, sind lang und vielfältig und führen oft wieder in die ursprüngliche Richtung zurück. Manche sind von grünen Hügeln gesäumt, von denen aus man Segelflieger und Drachen steigen lassen und irische Götter anrufen kann, manche von Fabriken voll trauriger Proleten und die Viel-zu-vielen auf bremsenlosen Fahrrädern; andere wieder von Wirtshäusern, wo aus der Stadt ausgewiesene Nutten einem großen Schriftsteller mediokre Einblicke in das Unendliche verschaffen. Aber alle diese Straßen sind Langsamstraßen, für schlurfende Füße gebaut; denn Paris ist nicht mehr anziehend, es wird überschattet vom Geheimnis eines gewissen Dale.
    Als er im Barbierstuhl lag, in Chorknabenweiß gehüllt, fiel der müde Chronist während des Rasierens in Schlaf und träumte von einer nackten Helen, die am Strand von Dover stand, zwei tote Nelken an den Brüsten, während sie kleine Segelschiffe zu Regatten um die Welt ausschickte. Als er erwachte, schnitt der Friseur ihm die Haare.
    »Shamus, ich will es nicht geschnitten!«
    Shamus saß auf der Bank und schrieb in sein Heft.
    »Es wird dir gut tun, Lover. Neues Leben, wie ein Mönch«, sagte er vage und ohne aufzublicken. »Unumgängliches Opfer, tut mir leid.«
    » Nein «, sagte Cassidy und stieß den Mann weg. Gott im Himmel, wie sollte er sich jetzt noch zu Trumper wagen? » Non , non , non .« Shamus schrieb weiter.
    »Er will es länger«, erklärte er dem Friseur, mit dem er auf freundschaftlichstem Fuße stand. » Il le veut plus long .«
    »Shamus, woran glaubst du?«
    Am Ende der Welt ging die rote Sonne auf oder unter, hinter dem dickgezogenen Raster einer Fabrik. Lichter lagen auf den Feldern, und die Segelflugzeuge waren naß vom Tau. »Was ist das für ein Licht am Ende des Piers?«
    »Einmal glaubte ich an eine Hure«, sagte Shamus nach langem Nachdenken. »Sie arbeitete im Revier von Lord’s Cricket Ground . Habe nie jemanden gekannt, der das Spiel leidenschaftlicher liebte. Sie bewahrte sämtliche Punktwertungen in ihrer Handtasche auf.«
    »Was weiter?«
    Er hasse Geistliche, sagte er. Er hasse sie mit der Wildheit eines Zeloten.
    »Was weiter?«
    Er hasse die Vergangenheit, sagte er, er hasse Konventionen, er hasse die blinde Hinnahme von Beschränkungen und die willentliche Beschneidung der Seele.
    »Ist das alles nicht ziemlich negativ? « sagte Cassidy schließlich.
    »Das hasse ich auch«, versicherte Shamus ihm. »Wichtig, daß man positiv ist.«
     
    Sie saßen auf gestohlenen Fahrrädern, eine Seite von Cassidys Kopf war jetzt viel kälter als die andere. Und das , sagte Shamus, sei Cassidys Problem. Miiau.

19
    Wer mochte Shamus sein? fragte Cassidy sich, als er ihm im Wirtshaus beim Schreiben zuschaute.
    Die Stadt war jetzt nicht mehr fern; vielleicht war das der Grund, warum er schrieb; um sich gegen das zu wappnen, was immer ihm in Paris drohen mochte. Rosiger Glanz wartete am Ende der Allee, und die Abendluft summte wie ein Wasserkessel. Sie saßen an einem Tisch an der Straße, unter einem Coca-Cola-Reklameschirm, und tranken Pernod, um einen klaren Kopf zu bekommen. Das Taxi wartete auf einem Parkplatz, der Chauffeur las Pornographie. Wer mochte mit seinem protokollführenden Engel neben sich leben, der Leben um Leben niederschrieb, verdrehte, geradebog und zusammenfaßte? Wer mochte Shamus sein, der täglich seine eigene Wirklichkeit aufzeichnete? Stets gegen das Leben anrannte, es nie akzeptierte; immer unterwegs war, nie zur Ruhe kam.
    »Wird es wirklich ein Roman?« fragte er. »Ein richtiger langer Roman wie die anderen?«
    »Vielleicht.«
    »Worüber?«
    »Habe ich dir gesagt. Freundschaft.«
    »Lies vor«, sagte Cassidy.
    »Geh zum Teufel«, sagte Shamus und las: Die Wirklichkeit trennte sie , und die Wirklichkeit führte sie zusammen . Jonathan , der wußte , daß es sie gab , lief vor ihr davon ; aber David war nie sicher und hielt alle Tage nach ihr Ausschau .
    »Ist es ein Märchen?« fragte Cassidy.
    »Vielleicht.«
    »Wer von uns ist David?«
    Du , du blöder Hund , weil du hell bist . David war ein

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