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Wachsam

Wachsam

Titel: Wachsam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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Teufel, hör zu.«
    »Ja, Shamus.«
     
    Shamus singt eine Verszeile, die Helens Brüste mit den Zwillingshügeln von Shameree vergleicht. Gehorsam versucht Cassidy, sie nachzusingen.
    »Ich kann nicht«, sagt er und bricht ab. »Bei dir ist das etwas anderes, du bist musisch.«
     
    Von Cassidys musikalischer Inkompetenz gerührt, umarmt Shamus der Dunklere ihn, küßt ihn auf Wangen und Mund, flicht die Finger in Cassidys konventionell-heterosexuellen Haarschnitt. Cassidy hat keine besonderen Empfindungen anläßlich des oralen Kontakts, schämt sich jedoch seiner Unrasiertheit. Als der Oxford-Student sich gerade bei Shamus entschuldigen will, der an seiner Brust entschlummert zu sein scheint, wird er jäh von Glocken zur Ordnung gerufen. Nicht nur vom Geläut, wie Shamus später sagte, sondern von den Glocken selber, die, an Stelle der Donnerkeile von Flahertys erzürnter Hand geschleudert, über die Dächer herabgepoltert kommen und zuhauf in den Hof einschlagen, tonale Torturen zufügen, die normalerweise den Bewohnern Sodoms vorbehalten sind. Entsetzt hält Shamus sich die Ohren zu und schreit: »Aufhören! Aufhören! Wir bereuen. Homos Reue. Flaherty, laß ab von uns. Herrje, Lover, du verdammter Narr, schau nur, was du angestellt hast! «
    »Du hast damit angefangen«, wehrte sich Cassidy, doch der große Autor hatte bereits die Flucht ergriffen, und sein Jünger folgt ihm nach.
    Sie rennen also, Shamus, der sich noch immer die Ohren zuhält, voran, geduckt und im Zickzack, um den herabfallenden Glocken auszuweichen, und sein Rock bläht sich wie ein Rettungsring.
    »Nicht zurückschauen, du Narr, laufen! Herrje, warum hast du uns in die Kirche geführt, du gottverdammter Idiot! Flaherty, du lebst! Lover! Zum Teufel!«
    Cassidy liegt auf dem Boden.
    Er fällt vermutlich der Länge nach hin, haut mit dem Knie an den Deckel einer Pariser Mülltonne und spürt deutlich, wie die Kniescheibe sich löst und in die gegnerische Hälfte rollt. Shamus zieht ihn wieder hoch. Das Pferd blickt sich nach ihnen um, als sie die Bremse lösen. Nicht mehr das jüngste, dieses Pferd, sein Gesicht ist grau, schwarze Ringe umziehen die Augen.
    Die Glocken haben aufgehört.
     
    »Was hab’ ich dir gesagt?« sagt Shamus voll Genugtuung. »Gen Süden«, weist er das Pferd an. » Sud . Der Sonne entgegen.«
    Er breitet die Decke über sie, wendet sich zu Cassidy und zieht ihn hinunter in die Lederpolster des fiacre .
    »Los, Lover, gib uns einen Kuß.«
    Salziger Schweiß mischt sich auf den Gesichtern der Liebenden, Old Hugos Stoppelbart beschwört eine lebenslange Suche.
    »Menschenskind, ich hasse diese Stadt«, erklärte Shamus. »Ich weiß wahrhaftig nicht mehr, warum wir hierhergekommen sind.«
    »Ich auch nicht«, sagte Cassidy. »Ewig lange her.«
     
    »Benimmt er sich anständig?« fragte Shamus.
    »Prima. Beide.«
    »Man kann sie nicht mitnehmen, Lover, die kleinen Burschen werden größer. Dann möchten sie alles, was du möchtest. Ficken, lachen, saufen, Weiber …«
    »Es wird besser für sie sein«, sagte Cassidy.
    »Für uns war es allerdings nicht besser, wie, Lover?«
    Keine Antwort. Cassidy war eingeschlafen. Keine Unterhaltung. Auch Shamus ist eingeschlafen. Nur in dem Pferd ist noch Leben, es trottet immer weiter südwärts.
     
    In Wahrheit war Cassidy jedoch wach. Bewußt, schnelldenkend, klar. Sein Körper war steif und schmerzte, doch er wagte nicht, sich zu bewegen, weil Hugo in seinen Armen schlief, und nur der Schlaf würde die Kniescheibe des verletzten Kindes heilen.
    Das ist eine Kutsche , erklärt er im Geiste; gezogen von einem grauen Superpferd, so wie in Sainte-Angèle, nur daß es dort ein Schlitten ist.
    Eine Kutsche hat Räder, Hug. Hölzerne, schwankende Räder, und der Gaul ist das Jagdpferd, das sie mir in Haverdown gegeben haben, ein Vollblut, lammfromm, von Gott gesandt, um uns aus einer stinkenden Großstadt fortzubringen.
     
    »Dad, wieviel Geld hast du?« fragte Hugo schläfrig. »Wieviel auf der ganzen Welt?«
    »Hängt davon ab, wie das Geschäft geht«, sagte Cassidy. »Hinlänglich«, fügte er hinzu und dachte: Wer will schon das Hinlängliche?
    Cassidy reckte sich – gleichzeitig ließ er das Knäblein Shamus aus seinen Armen –, rückte sich bequemer auf dem Sitz zurecht, rollte sein Hosenbein hoch und inspizierte vorsichtig das verletzte Knie. Es war noch immer an Ort und Stelle, und man sah kein Wundmal. Muß innerlich sein, dachte er und nahm die Flasche entgegen; die

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