Wackelkontakte - Kein Sex geht gar nicht
einmalig sein, gnadenlos, tragisch und voller Leidenschaft.
Bis zur Mittagspause hatte ich allerdings noch kein einziges Wort über die Zukunft der Stiere, Zwillinge, Waagen, und wie sie alle hießen, zu Papier gebracht. Wenn Mary mir nicht gerade ihre neueste Biographie zur barbusigen Annabelle vorlas, weil sie sich nicht entscheiden konnte, ob sie nun eine Tänzerin war, die durch Kellnern ihre Ausbildung finanzierte, oder eine Kellnerin, die nebenbei tanzte, musste ich hier mal eben den Namen der Geliebten eines Kölner Comedy-Stars herausfinden, dort den Standort der Kneipe erfragen, in der vor kurzem ein Teenie-Soap-Star randaliert hatte, oder einfach nur Anrufe entgegennehmen. Ich war sozusagen Mädchen für alles und fand auch schnell heraus, dass ich nicht nur die Horoskope schreiben sollte, sondern auch für das Zitat, den Witz und das Baby des Tages verantwortlich war. So verging auch der Nachmittag wie im Fluge, und plötzlich wurde es noch lauter und hektischer im Großraumbüro, als es ohnehin schon war. Wie immer klärte Mary mich ungefragt auf.
»In einer Dreiviertelstunde ist Textschluss. Jetzt fangen die Leute eigentlich erst so richtig an zu arbeiten. Was hältst du davon: ›Annabelle ist zweiundzwanzig und arbeitet bei einer Erotik-Hotline, um ihr Jurastudium zu finanzieren.‹«
»Sehr gut, sehr gut, Jura. Passt genau. Was sagtest du, in einer Dreiviertelstunde?«
»Ja, Textschluss ist immer um Viertel nach fünf.«
O Gott. Ich hatte gerade mal den Witz herausgesucht und konnte mich nicht zwischen drei belanglosen Zitaten eines mir nur vage bekannten Lokalpolitikers, eines mir noch weniger bekannten Teenie-Stars und eines mir völlig unbekannten Box-Sportlers entscheiden – an Horoskope war gar nicht zu denken.
Okay. Ruhe bewahren, Karina. Bloß keine Hektik. Es gab zwölf Sternzeichen. Das bedeutete zwölf Sätze über Liebe, Gesundheit und Beruf, das konnte doch nicht so schwer sein.
Leider hatte ich nicht die geringste Ahnung von Sternzeichen. Tina hätte mir jetzt weiterhelfen können, denn sie stöhnte immer laut auf, wenn ich ihr sagte, mein Freund sei Stier oder Jungfrau oder Elefant im chinesischen Tierkreiszeichen, weil er dann natürlich weder mit mir noch mit meinem Aszendenten zusammenpasste. Ich kannte mich eigentlich nur mit Löwen aus, weil ich selbst einer war.
Aber das war doch schon mal ein Anfang. Für Löwen würde es in den nächsten Tagen beruflich auf jeden Fall bergauf gehen, weil ähm, weil … weil Pluto gerade äußerst günstig stand. Privat müssten Löwen erst mal kürzer treten, da sie den Bogen in letzter Zeit etwas überspannt hatten. Ansonsten verheilten alte Wunden sehr gut. Trotzdem sollten Löwen mehr auf ihre Gesundheit achten, die zu dieser Jahreszeit besonders anfällig war. Perfekt. Für die anderen Sternzeichen brauchte ich das Schema nur noch leicht zu variieren. Pünktlich zum Textschluss hatte ich meine Horoskope fertig. Hektisch gratulierte ich noch dem Baby des Tages zu seiner Geburt, und dann war die Aufregung im Büro auch schon wieder vorbei.
Für den nächsten Tag nahm ich mir vor, alles über Sternzeichen, Aszendenten und den Einfluss diverser Planeten auf unser irdisches Wohlbefinden im Internet zu recherchieren, aber für heute war ich mit dem Ergebnis meines ersten Arbeitstages ganz zufrieden.
Leider sah mein Arbeitsalltag auch am nächsten Tag nicht anders aus. Außer dass Annabelle jetzt Louise hieß und abwechselnd Schneiderin mit Designer-Ambitionen oder Schwimmerin mit Olympia-Ambitionen war, weil sie eine merkwürdige Mischung aus Bikini und Abendkleid trug. Dass die Sexaffäre des Comedy-Stars durch eine Drogenaffäre eines Sportlers zur Nebensache degradiert worden war. Und dass der Soap-Star sich reumütig bei dem Kneipenbesitzer entschuldigt hatte, dessen Inneneinrichtung er tags zuvor noch kurz und klein geschlagen hatte. Bei so vielen interessanten Informationen war es wohl nicht wichtig, dass die Horoskope denen des Vortags auffällig ähnlich waren, schließlich änderte sich das Schicksal auch nicht von heute auf morgen.
Auch in den folgenden Wochen kam ich nicht dazu, mich auf meinem Fachgebiet schlau zu machen, und am Ende der dritten Woche zitierte mich Herr Klosenberg in sein Büro. Wie schon bei unserem ersten Gespräch schaute er nicht mich an, sondern vergrub sein Gesicht in einen Stapel Zeitungen. Bei jedem anderen Chef hätte ich gedacht, dass dies ein schlechtes Omen wäre und ihm meine Arbeit nicht
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