Wackelkontakte - Kein Sex geht gar nicht
an. Jeden Morgen lehnte ich mit einem deutlichen »Nein danke« ab. Und jeden Morgen bekam ich mit einem freundlichen »Hier bitte« eine Tasse abscheulichen entkoffeinierten Carokaffee auf meinen Schreibtisch gestellt. In solchen unwichtigen Fällen konnte man über diese Missverständnisse noch hinwegsehen, auch wenn ich langsam befürchtete, dass der Hibiskus neben unserem Schreibtisch bald zu einer Carokaffeepflanze mutieren würde. In anderen Fällen hatte es jedoch wesentlich schwerwiegendere Folgen, und ich ahnte, dass ich dabei war, durch diese grundlegende Kommunikationsschwierigkeit in mein Verderben zu rennen, als Mary begann, mich über mein Privatleben auszufragen.
Eigentlich musste man bei Gesprächen mit ihr ähnlich wie bei Tina immer auf der Hut sein, aber das war natürlich schwierig, wenn man nebenbei mit Telefonaten, Horoskopen und der drohenden Kündigung beschäftigt war. Also hörte ich nur mit halbem Ohr zu, als sie mir erzählte, ihr Sohn sei ja in meinem Alter. Schon allein diese Feststellung hätte mich stutzig machen müssen, denn erstens konnte sie gar nicht wissen, wie alt ich war, zweitens hatte sie die Tendenz, Menschen schon aus Prinzip jünger zu schätzen – vermutlich, weil sie alles Menschenmögliche tat, um selbst jünger zu wirken –, und drittens brachte sie indirekt und in einem Satz ihren Sohn mit mir in Verbindung. Wenn ich in diesem Moment nicht gerade dabei gewesen wäre, über die Dehnbarkeit meines Dispos nachzudenken, um zu sehen, ob ich mir eine Kündigung leisten konnte, wäre mir der Subtext von Marys Gebrabbel nicht entgangen, und ich hätte mein Abwehrprogramm sofort auf Alarmstufe Rot gestellt. So aber heuchelte ich Interesse, da ich das Gespräch für ungefährlich hielt. Ich hatte ihren Sohn bisher nur einmal kurz gesehen, als er sie wegen irgendeines Termins von der Arbeit abgeholt hatte, und dabei auch nicht weiter beachtet. Ihm dagegen war ich wohl aufgefallen, denn bei Marys Frage »Hast du eigentlich einen Freund?« war der Subtext dann nicht mehr ganz so versteckt, und endlich klingelten bei mir die Alarmglocken. Während ich im Kopf noch verschiedene Strategien durchspielte – würde sie ein Nein jetzt als Ja nehmen und wär ich damit gerettet, oder hatte ich in diesem Fall mit einem Ja bessere Chancen, wobei am sinnvollsten vielleicht ein Nein aber erschien –, hatte sich ein autonomer Teil meines Gehirns schon für ein ziemlich unglückliches »Wieso?« entschieden. Aus dem »Wieso« hätte selbst ich ein klares Nein abgeleitet und der Rest des Gesprächs war reine Formsache. Sie sagte: »Mein Junge würde dich gerne mal treffen. Hättest du heute Abend Zeit?« Ich sagte: »Nein.« Und ein paar Stunden später saß ich in einer Cocktailbar bei einem Caipirinha dem dreiundzwanzigjährigen Sohn meiner Kollegin gegenüber.
JA ODER NEIN
Er hieß Stefan und war Fotograf. Das wusste ich, weil er mich mit diesem Satz begrüßt hatte, bevor wir in die Bar gegangen waren. Seither verschluckte die ohrenbetäubende Technomusik jedes weitere Wort, und ich war froh darüber. Denn abgesehen davon, dass er offenbar die Redseligkeit seiner Mutter geerbt hatte, ermöglichte mir die Musik, meinen Gesprächsanteil auf sinnlose Wortfetzen zu reduzieren, da man sie eh nicht verstand. Ich lehnte mich also beruhigt in den Sessel zurück und begnügte mich damit, gelegentlich zu lachen, zu nicken und Stefan aufmerksam anzustarren. Dabei war ich weniger an seiner Lebensgeschichte interessiert, die sich mir aus Mangel an zusammenhängenden Sätzen nur zum Teil erschloss und sich offenbar auf krasse Shootings und noch krassere Models beschränkte, als vielmehr an Stefan selbst. Er war cool. Oder versuchte es zumindest mit jeder Pore seines viel zu jungen Körpers zu sein. Er hatte kurze blonde Haare, die er wahrscheinlich stundenlang vor dem Spiegel zu einer gekonnt ungestylten Frisur gestylt hatte. Er trug eine modische Brille mit hellblau gefärbten Gläsern, eine kurze schwarze Lederjacke, ein weißes Hemd, das nur so weit zugeknöpft war, dass man noch genug von seinem unbehaarten und wohlgeformten, aber auch nicht zu durchtrainierten Oberkörper sehen konnte, und eine graue G-Star Jeans, die einen genauso wohlgeformten Hintern versprach.
Er sah definitiv zu gut aus, und ich war überzeugt, dass er mehr Zeit vor dem Spiegel und vor dem Schrank verbracht hatte, als ich bei meinen ganzen Verabredungen zusammen. Das ehrte mich einerseits, da es bedeutete, dass er sich
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