Wackelkontakte - Kein Sex geht gar nicht
jedoch im Gegenzug die Analysen sämtlicher Fußballspiele der letzten Wochen anhören. Deswegen konnte ich zu Tinas Leidwesen erstmals mitreden, als Tim mit Özlem und Matthias über unsere Gewinnchancen diskutierte. Tina dagegen setzte bei Tim ganz auf Charme-Offensive. Mit durchwachsenem Erfolg. Eins war klar, Frauen kamen bei Tim ganz offensichtlich erst nach Fußball. Damit musste Tina sich wohl oder übel abfinden.
Das Spiel an sich war … na ja, ein Fußballspiel eben. Bis zur Halbzeit war allerdings noch kein einziges Tor gefallen. Trotz allem wurde die Stimmung unter den Zuschauern mit steigendem Alkoholpegel immer besser. Auch ich feuerte unsere Mannschaft in der zweiten Halbzeit lautstark an, aber dass es noch ein langer Weg sein würde, um aus mir einen echten Fußballfan zu machen, wurde mir klar, als ich beim entscheidenden Tor auf der Toilette war.
Es war ein Tor für die Gegner gewesen, denn auf dem Rückweg kam mir Özlem in Tränen aufgelöst entgegen. Sie war wirklich ein vorbildlicher Fußballfan.
»Karina, du musst ganz schnell kommen! Die anderen haben ein Tor geschossen … und … und … « Vor lauter Tränen konnte Özlem kaum sprechen.
Ich legte tröstend einen Arm um sie. »Ach, Özlem, so schlimm ist das doch gar nicht. Wir schießen bestimmt auch noch eins.«
Es half nichts, sie wurde wieder von einem Heulkrampf geschüttelt: »Ja, aber … aber … jetzt ist Tinas Vater tot.«
»WAS?«
Das waren Momente, in denen ich mir wünschte, Özlems Sätze wären nicht immer so zusammenhangslos und auf das Wesentliche beschränkt. Wir rannten nach draußen, wo Tina laut schluchzend an Tims Schulter lehnte. Er leitete Tina vorsichtig an meine Schulter weiter und flüsterte mir zu: »Ihre Mutter hat gerade angerufen. Ihr Vater hatte einen Herzinfarkt. Ich hol schnell mein Auto, dann fahren wir zum Krankenhaus.«
Wie bitte? Aber das war doch alles nur ein Spiel?
Eine Minute später rasten wir zum Krankenhaus. Matthias versuchte unterwegs, Özlem zu beruhigen, und ich hatte immer noch Tina an meiner Schulter. Ihre Tränen flossen inzwischen langsamer, und nach einer Weile konnte sie mir unter Schluchzen erzählen, was passiert war: »Meine Mutter hat gesagt, … er … er hat sich die ganze … Zeit so aufgeregt, und als dann das Tor gefallen ist, ist … ist er … aufgesprungen … und einfach … umgekippt. Was ist … wenn er, wenn er jetzt … tot ist?« Sie starrte mich mit großen Augen an, und ich suchte verzweifelt nach einer weniger endgültigen medizinischen Erklärung für sein plötzliches Umkippen.
»Vielleicht hat er ja auch nur Kreislaufprobleme, oder er hat sich beim Aufspringen den Kopf angeschlagen und … « Ich bemerkte Tims skeptischen Blick im Rückspiegel. »Und außerdem ist man nach einem Herzinfarkt auch nicht immer gleich tot.«
Das letzte Wort hatte ich fast geflüstert, weil es so bedrohlich klang. Aber meine Erklärungen schienen Tina wenigstens etwas zu beruhigen. Sie hatte fast aufgehört zu weinen und flüsterte mir zu: »Nein, Karina, ich bin mir sicher, dass er tot ist.«
Das war jetzt allerdings weniger beruhigend, sondern vielmehr unheimlich. Sie redete noch leiser: »Weißt du, warum?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Du musst mir versprechen, dass du es niemandem weitererzählst.«
Ich nickte.
Sie flüsterte jetzt direkt in mein Ohr: »Es stand in meinem Horoskop!«
»WAS!?«
»Pssst. Ja, ehrlich. Und das Schlimmste ist, es ist meine Schuld, dass er tot ist.«
Würde ich mich nicht selbst so intensiv mit Horoskopen beschäftigen, hätte ich Tinas Bemerkung auf ihren Schockzustand zurückgeführt. Aber so hakte ich schon allein aus beruflichem Interesse nach.
»In deinem Horoskop stand, dass dein Vater stirbt und du schuld bist? Sind die verrückt?«
»Nicht so laut. Nein, so stand das natürlich nicht da. Aber in letzter Zeit war mein Horoskop ziemlich mies, und irgendwann hatte es vorausgesagt, dass ich für meine vorschnellen Drohungen büßen müsste und dass das zu einem Unglück führen würde und so.«
Waage! Tina war Waage, und die Verrückte war ich. Dabei hatte ich mich doch nur an Ecki rächen wollen.
»Und das stimmt doch alles. Weißt du noch, wie ich dich letztens am Telefon so blöd angemacht habe, wegen Tim … Es tut mir so leid … «
Sie fing wieder an zu weinen, und mir wurde schlecht. Wie hatte ich nur Tinas Sternzeichen vergessen können! Dabei war ich seit über zwanzig Jahren immer die Erste, die sie zu ihrem
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