Wackelkontakte - Kein Sex geht gar nicht
ja nicht viel, aber mit einunddreißig kann man doch wohl erwarten, dass man einen vernünftigen Job hat, eine Familie oder wenigstens eine feste Beziehung, eine private Rentenvorsorge, diese ganze Palette eben. Und was habe ich? Mein Studium erfolgreich abgebrochen und meinen aussichtsreichen Job als Journalistin gegen eine stumpfsinnige Arbeit bei einem Schmierblatt eingetauscht. Eine Wohnung zur Untermiete, aus der ich jederzeit von einem senilen Kioskbesitzer rausgeschmissen werden kann. Und von Familie oder einer Beziehung möchte ich gar nicht erst reden. Dazu bin ich selbst nach einunddreißig Jahren und … und … wahrscheinlich genauso vielen Kerlen noch nicht in der Lage.«
»Was? Du hattest schon einunddreißig … ähm, Beziehungen?«
»Was?«, fragte ich genauso überrascht. Ich hatte mich von meinem Selbstmitleid wohl etwas übermannen lassen. »Nein, natürlich nicht. Also, ich meine, das war ja nur ein rhetorisches Mittel, eine grobe Schätzung. Ich geh dann jetzt ins Wasser, kommst du mit?«
Zum Glück waren wir inzwischen am See angekommen, aber dummerweise stellte ich erst jetzt fest, dass ich keinen Bikini dabei hatte. Mit Tina war ich nachts immer nackt baden gegangen, was mit Tim nicht unbedingt angebracht war. Besonders jetzt nicht, wo ich gerade freimütig über meine einunddreißig Liebhaber geplaudert hatte. Also musste ich wohl oder übel in meinem T-Shirt schwimmen gehen.
Das Wasser war arschkalt, und zu allem Überfluss war es auch noch ganz schön nebelig hier unten am See. Keine idealen Bedingungen, um nachts schwimmen zu gehen, und wenn Tim nicht dabei gewesen wäre, hätte ich sofort wieder kehrtgemacht. Aber so tat ich, als sei es ungemein erfrischend, und zog meine Bahnen, während Tim am Strand in seine Badehose schlüpfte.
Einunddreißig Männer war doch ganz okay, oder? Nur weil Tim offenbar gar keins hatte, konnte er nicht erwarten, dass andere nicht ein erfülltes Sexleben führten. Andererseits war einunddreißig vielleicht doch etwas hoch gegriffen. Obwohl, umgerechnet auf einunddreißig Jahre … , aber ich hatte natürlich erst mit sechzehn zum ersten Mal … , also machte das ungefähr zwei Männer pro Jahr. Wobei ich zwischendurch deutlich mehr als zwei im Jahr … Dann wiederum, mit achtzehn hatte ich zwei Jahre einen festen Freund, und seit über einem halben Jahr hatte ich gar keinen mehr. Also, nochmal: Thomas mit sechzehn. Mirko mit siebzehn. Mit Dennis war ich mindestens zwei Jahre zusammen. Gut, die Studentenzeit war vielleicht etwas ausschweifend gewesen und hob den Durchschnitt leicht an. Dann kam dieser Austauschstudent aus Amerika, mit dem ich eine streng monogame Beziehung geführt hatte. Und dann war auch schon Frank an der Reihe, und mit dem hatte ich dann irgendwann eine nicht mehr ganz so monogame Beziehung geführt …
Dreiunddreißig! Tatsächlich waren es dreiunddreißig Männer, und davon fielen auch noch vier in die drei Jahre, in denen ich eigentlich mit Frank zusammen gewesen war.
»Karina? Kaaariiinaaa!« Ich war so sehr mit meiner Statistik beschäftigt gewesen, dass ich gar nicht gemerkt hatte, dass Tim ins Wasser gekommen war. Er rief mich von irgendwoher. Ich zog immer noch in Strandnähe meine Bahnen, aber von Tim war weit und breit nichts zu sehen.
»Tim, wo bist du? Schwimm lieber nicht so weit raus bei dem Nebel.«
Tim hörte mich nicht. Er rief wieder meinen Namen, und diesmal klang er schon etwas verzweifelter.
»KAAAARIIIINAAAA!«
»Ich bin hier!« Ich versuchte zu winken. Scheiße, eben war Tim doch noch am Strand gewesen. Hatte es denn so lange gedauert, bis ich meine Liste komplett hatte? War er etwa unbemerkt an mir vorbeigeschwommen und trieb sich jetzt viel zu weit draußen im See rum?
»Tim? Wo bist du?«
Keine Antwort. Langsam wurde ich unruhig.
»TIIIIM! Kannst du mich hören?«
Es kam nur ein ganz schwaches Ja zurück. Er musste wirklich ziemlich weit draußen sein. Vielleicht hatte er im Nebel die Orientierung verloren. Das war mir auch schon mal passiert, als ich vor Jahren ziemlich betrunken schwimmen gegangen war. Zum Glück hatte Tina mich damals zurück an den Strand gelotst. Seitdem schwamm ich nachts nur so weit raus, dass ich den Strand immer noch sehen konnte.
»Hilfe, Karina, ich habe einen Krampf. Du musst mir helfen.«
Ach, du Scheiße, er war ja wirklich ein sehr schlechter Schwimmer. »Tim, bleib ganz ruhig. Ich komme zu dir, du musst nur weiter rufen, hast du mich verstanden?«
Ich horchte.
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