Wächter der Seelen / Gefährlich wie ein Engel. Roman
Gänseblümchen gefressen, die schwarzen Buchstaben waren nun dick und rot umrandet, und es tropfte Blut von ihnen herab.
Was sollte sie nur mit Em machen? Rachel hatte die Polizei erneut angerufen und von dem Stelldichein auf dem Jahrmarktsplatz erzählt. Aber mehr als das Versprechen, regelmäßig nachzuprüfen, ob die Tore abgesperrt waren, hatten die Beamten ihr nicht geben können.
Die Mikrowelle piepste, und Rachel tappte barfuß in die Küche. Sie gab sich alle Mühe, die Digitaluhr zu ignorieren, die zehn nach zwölf anzeigte, und öffnete die kleine Glastür. Mikrowellenkaffee. Unheimlich lecker und wahnsinnig gesund. Allein bei dem Gedanken an den Geschmack zog sich Rachels Magen zusammen. Sie trank einen Schluck aus der dampfenden Tasse. Wenigstens tröstete die Wärme sie ein wenig. Dann schwenkte ihr Blick wie magisch angezogen in Richtung Esstisch. Zerknitterte Skizzen, haufenweise Radiergummibrösel und eine Handvoll Bleistifte lagen kreuz und quer verteilt. Ihre Ledermappe lag geöffnet am einen Ende des Tisches, die Plastikhüllen waren leer. Einige der zerknüllten Papierbälle waren auf dem Boden gelandet und verbargen Rachels Schmach hinter den gewölbten Tischbeinen.
Ihre Arbeit ging keinen Millimeter vorwärts. Rachel würde den größten Teil des Wochenendes vor dem Computer verbringen müssen, um überhaupt nur das Mindeste vorweisen zu können. Celia hatte Rachels Präsentation mit noch mehr Arbeit belohnt: eine ganze Serie, die sie allein bewältigen sollte. Im Lichte dieser Anweisung wirkte es fast kriminell, dass sie bereits um halb sechs am Abend das Büro verlassen hatte. Ihre Kollegen hatten sich in Erwartung einer langen Nacht das Abendessen kommen lassen. Viele Firmen erlaubten es ihren Angestellten, zu Hause zu arbeiten, aber Celia bestand pedantisch darauf, dass alle ins Büro kamen. Sie war nicht von der Meinung abzubringen, dass die Schaffenskraft eines Designers den Ansporn durch andere kreative Köpfe brauchte, und ehrlich gesagt stimmte ihr Rachel darin zu. Wenn sie keine alleinerziehende Mutter gewesen wäre – eine alleinerziehende Mutter, die alle halbe Stunde nachsehen musste, ob ihre halbwüchsige Tochter auch tatsächlich noch im Bett lag –, wäre sie im Büro geblieben.
Es klopfte an der Wohnungstür. Rachel sprang auf und verschüttete prompt den Kaffee auf ihr unförmiges Nachthemd. Besucher waren bereits am Tag ungewöhnlich, aber mitten in der Nacht?
Mit klopfendem Herzen ging sie zur Tür, spähte durch den Spion – und entspannte sich sofort wieder. Lachlan MacGregor.
Rachel zog eine Grimasse angesichts ihres unattraktiven Aufzugs, den nun ein noch unattraktiverer Kaffeefleck verschandelte. Immerhin stand sie nicht nur in Unterwäsche da, aber das Nachthemd war alt und ausgeleiert und kaum das, was sich Rachel gewünscht hätte, um einen gutaussehenden Mann zu empfangen. Andererseits lief Lachlan als Mann außer Konkurrenz. Er war Priester, also tabu. Vielleicht war es besser so – besser, alle Hoffnungen auf seinen bewundernden Blick fahrenzulassen.
Sie zog die Tür auf. Und hielt den Atem an. Lachlan leibhaftig vor sich zu sehen hatte eine unerwartet heftige Wirkung auf sie. Er trug wie üblich seine Klerikerkluft, aber sein kurzes Haar hatte den Anschein, als wäre ein Tornado hindurchgefahren. Außerdem zeigte sich der Schatten eines Barts am Kinn. Lachlan umgab wie immer die Aura eines unerschütterlichen Selbstvertrauens, doch nun mischte sich etwas anderes dazu, etwas, das in seinen stürmischen blauen Augen wütete und auf eine gewisse … Verletzlichkeit hindeutete. Was auch immer es war, es hatte verheerende Auswirkungen. Der Schauer, der Rachel durchlief, war so ausgeprägt, dass er sich auf den Kaffee in ihrer Tasse übertrug.
»Ich muss mich für die späte Störung entschuldigen«, sagte Lachlan, während sein Blick kurz zu Rachels nackten Beinen hinabhuschte. Der Sturm in seinen Augen wurde noch heftiger, was wiederum ihr inneres Feuer auflodern ließ und alle möglichen unanständigen Bilder weckte. »Aber ich habe gesehen, dass bei Ihnen noch Licht brennt, und da dachte ich, ich versuche mein Glück.«
Rachel zwang sich, das polierte Kreuz aus gehämmertem Silber anzusehen, das Lachlan um den Hals trug. Denk immer daran: Er ist Priester.
»Darf ich hereinkommen?«, fragte er sanft.
Rachel wurde rot und öffnete die Tür vollends. »Natürlich. Verzeihen Sie.«
In dem Augenblick, als er eintrat, bereute sie ihre Entscheidung
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