Wächter der Seelen / Gefährlich wie ein Engel. Roman
fuhr sich mit den Fingern durch die kurzen Locken. Ein dumpfer Schmerz brütete hinter seinen Augen. »Meine Familie hat es nie bis zur oberen Ebene geschafft. Ihre unschuldigen Seelen werden unweigerlich in der Hölle brennen, wenn ich meine Mission nicht erfülle.« Schwer senkte sich Schweigen über sie.
Als es unangenehm zu werden drohte, seufzte der Magier mitfühlend. »Dann kann ich nur sagen: Möge Gott Erbarmen mit dir haben.«
Es geschah ganz zufällig. Em saß gerade in der Aula und dachte an Drew, als drei Volltrottel in der Reihe vor ihr sich unbedingt einen Spaß mit ihr machen mussten. Sie wandten sich immer wieder zu Em um, verdrehten die Augen und stöhnten in der geistlosen Imitation eines Zombies aus einem Film. Zunächst nervte es Em nur. Dann begann ihr Kopf zu hämmern. Sie schloss die Augen und versuchte, das dumpfe Klopfen zum Schweigen zu bringen, doch es hörte nicht auf. Irritation wurde zu Wut. Je mehr die drei Idioten kicherten und stöhnten, desto zorniger wurde sie. In Wellen erschienen bösartige Gedanken in ihrem Kopf, und ein Bild – die drei schlaff, mit gebrochenem Genick an einem Ast baumelnd – kam Em in den Sinn. Der Bleistift, mit dem sie spielte, zerbrach, und ein Holzsplitter bohrte sich in ihre Hand. Gleichermaßen erschrocken über die heftigen Gefühle wie auch über den Schmerz, ließ sie den Bleistift fallen. Aber das verdammte Ding landete nicht in ihrem Schoß. Nein. Es blieb in der Luft hängen, etwa drei Zentimeter über den Oberschenkeln, in einem sonderbaren Winkel gekrümmt und bespritzt mit hellrotem Blut.
Durch ihr Haar, das wie ein Vorhang über den Augen hing, prüfte Em, ob die Idioten in der vorderen Reihe es auch sahen. Aber die hatten sich wundersamerweise wieder in brave Schafe verwandelt, die aufrecht auf den Stühlen saßen und aufmerksam den Ausführungen der Direktorin über die neue Sicherheitspolitik der Schule lauschten.
Mit gerunzelter Stirn starrte Em den schwebenden Bleistift an. Doch als sie gerade überlegte, wie sie ihn loswerden sollte, erledigte sich das Problem von selbst. Der Bleistift verschwand, löste sich in Luft auf. Keine Rauchwolke, kein Lichtblitz. Nichts. Er war einfach nur fort. Em setzte sich ein wenig gerader in dem metallenen Klappstuhl auf. Wie cool es wäre, wenn sie dem Stift folgen könnte! Sie schloss die Augen und konzentrierte sich, doch als sie sie wieder öffnete, war sie noch immer am selben Ort – noch immer umgeben von Vollidioten.
Na gut. Es war ja nur ein Gedanke gewesen.
Die vielen Pflanzen auf dem Balkon zu gießen hatte Rachel entspannen sollen – zumindest tat es das sonst. Die Sonne auf ihrer Haut und das Plätschern des Aquariums machten sie normalerweise angenehm schläfrig. Doch während die nachmittägliche Brise ihr frisch gewaschenes Haar trocknete, ertappte sich Rachel immer wieder dabei, wie sie zu dem Balkon über sich aufsah und überlegte, ob Lachlan wohl genauso viel an sie dachte wie sie an ihn. Sie stellte die kupferne Gießkanne auf den Tisch und legte die Hände an die brennenden Wangen. Durchlebte auch er gerade noch einmal das feuchte Reiben ihrer Haut auf seiner, das berauschende Zusammenspiel ihrer Körper und die unglaubliche Befreiung, die sie beide gleichzeitig erlangt hatten? Rachel jedenfalls konnte nicht aufhören, daran zu denken. Sie wurde alle fünf Minuten rot, halb peinlich berührt, halb erregt von den lüsternen Erinnerungen.
Rachel pflückte eine verwelkte rosafarbene Plumeriablüte von einem Stengel und warf sie über die Balkonbrüstung. Es erstaunte sie noch immer, dass sie den Mut gehabt hatte, sich darauf einzulassen: Sex nur um seiner selbst willen, ohne jegliche Verpflichtungen. Bis auf ein wildes Jahr am College – das allerdings viel zu lange zurücklag, als dass sie sich noch richtig daran erinnern könnte – war Rachels Liebesleben ziemlich eintönig gewesen. Natürlich ließ sich der Sex dieses Nachmittags überhaupt nicht mit jenen oberflächlichen, fast wahllosen College-Experimenten von damals vergleichen. Vielleicht war sie einfach nur töricht und deutete etwas in Lachlans Verhalten hinein, aber offen gestanden hatte sie noch mit keinem Mann geschlafen, dem ihre Lust so sehr am Herzen lag – und der eine so perfekte Mischung aus Dominanz und Zärtlichkeit an den Tag legte. Es war eine unglaubliche Erfahrung gewesen. Eine unglaubliche Erfahrung, die sich niemals wiederholen würde.
Das schnurlose Telefon auf dem Gartenstuhl
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