Waechter der Unterwelt - Schluessel der Ewigkeit
sehen uns.“
Ich verließ das Haus eilig. Nachdem sich die Tür hinter mir geschlossen hatte, holte ich tief Luft. Wegen Eleanor blieb mir keine Zeit mehr, um in der Schule aufzutauchen. Aber ich wusste, Sara würde heute auf den Friedhof gehen. Also würde ich dort auf sie warten, um ihr beizustehen. Ich wusste nur zu genau, wie sehr es schmerzte, jemanden zu verlieren.
Sara
Ich war früh wach und wälzte mich noch eine Weile im Bett; mir war nicht nach Aufstehen. Ich sah das Bild meiner Mutter und mir auf dem Nachttisch an. Ich war acht, als es bei einem Ausflug in den Zoo gemacht wurde. Ich wusste noch genau, wie ich damals unbedingt einen Delfin als Haustier wollte. Mom brauchte fast drei Wochen, um mich davon zu überzeugen, dass es unmöglich war, einen Delfin in der Badewanne leben zu lassen.
Ehe ich anfing, zu lange an vergangene Tage zu denken, stand ich auf.
Unten in der Küche saß Granny am Tisch und aß ihr Frühstück.
„Guten Morgen, Granny.“
„Guten Morgen, mein Schatz, wie geht es dir?“, fragte sie und sah mich prüfend an.
„Mir geht`s gut. Ist Dolores heute nicht da?“, lenkte ich sofort von mir ab. Ich nahm mir Müsli und Milch.
„Nein, sie hat zwei Wochen Urlaub genommen.“
„Das habe ich gar nicht mitbekommen.“ Ich setzte mich zu ihr an den Tisch.
„Es gab einen Notfall in der Familie. Ihre Mutter ist im Krankenhaus. Dolores ist heute Morgen nach Texas geflogen.“
„Oh, was ist denn passiert? Ist es was Schlimmes?“
„Ein leichter Schlaganfall. Sie wird sich erholen, aber Dolores wollte trotzdem zu ihr, was ich verstehen kann. Also habe ich ihr den Urlaub sofort gegeben.“
„Ich hoffe, es geht ihrer Mutter bald besser.“
„Das hoffe ich auch. Und was ist mir dir?“
„Was meinst du?“, fragte ich und aß von meinem Müsli.
„Bist du sicher, dass ich dich nicht doch begleiten soll?“
Ich ging nicht oft auf den Friedhof, aber an Moms Todestag war ich immer dort — mit Dad, oder auch ohne ihn. Um ehrlich zu sein, war es fast leichter alleine hinzugehen.
„Ach, Granny, mach dir keine Sorgen, bitte“, sagte ich, während ich mein Müsli aß.
„Aber du weißt, du kannst immer mit mir reden, mein Schatz.“ Sie legte ihre Hand auf meine und ihr Blick war voller Liebe.
„Schon gut, ich weiß.“ Ich strich ihr mit der Hand über die Wange.
„Grüß Emily von mir“, sagte sie, stand auf, gab mir einen Kuss auf den Kopf und verließ die Küche.
Ich aß schnell mein Müsli. Keira würde gleich auftauchen, um mich abzuholen. Ich hoffte, der Tag ginge schnell vorüber und ich würde es schaffen, mich heute ein bisschen weniger peinlich zu verhalten.
Die Stunden zogen sich, als würde der Zeiger sich rückwärts bewegen. Jede weitere Stunde verging langsamer, als die vorherige. Vielleicht lag es auch nur daran, dass ich nicht gern zum Friedhof fuhr. Es schnürte mir immer die Luft ab, wenn ich vor dem Tor stand. Keiner meiner Freunde erwähnte heute meine Mutter und ich war ihnen dankbar dafür. Sie wussten, wie schlecht es mir an diesem Tag ging, auch ohne über sie zu reden. Manchmal braucht die Zeit länger, um Wunden zu heilen.
Am Anfang hatte ich immer das Gefühl, wenn die Tür aufging, würde Mom reinkommen. Oder wenn sie eigentlich von der Arbeit kommen sollte, wartete ich auf ein „Hallo“. Überall in der Wohnung roch es nach ihr. Dad hatte es nicht übers Herz gebracht, ihre Kleider der Wohlfahrt zu spenden. Sie hingen Wochen nach ihrem Tod immer noch in seinem Schrank. Bis Granny kam und mir half, alles auszusortieren. Am liebsten hätte ich laut losgeschrien. Mir den Schmerz des Verlustes einfach weggeschrien. Wenn es doch nur so einfach gewesen wäre. Doch Großmutter hatte recht: Wenn überall noch ihre Sachen waren, würden wir nie verinnerlichen, dass sie endgültig nicht mehr da war.
Nach Schulschluss kaufte ich Mom einen schönen Blumenstrauß in dem kleinen Blumenladen, der nur einen Block vom Schulgebäude entfernt war. Auch wenn es viel zu kalt war, um Blumen auf den Friedhof zu legen. Danach nahm ich mir ein Taxi zum St. Andrews Friedhof .
Während der Fahrt fragte ich mich, was meine Mutter wohl zu meiner Schwärmerei für Dante sagen würde? Ihre Ratschläge fehlten mir.
Aus irgendeinem Grund war er heute nicht in der Schule gewesen. Dadurch konnte ich mir einen meiner peinlichen Auftritte ersparen. Aber aus unerfindlichen Gründen war ich traurig deswegen. Irgendwie dachte ich, es könnte tröstend sein,
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