Waechter der Unterwelt - Schluessel der Ewigkeit
knielanges Kleid, das ich übrigens immer noch besitze. Josef hatte einen dunkelblauen Anzug an, darunter ein weißes Hemd. Ich werde nie vergessen, wie er an diesem Abend ausgesehen hat, als er vor der Treppe auf mich wartete. Die eine Hand locker in der Hosentasche und in der anderen eine rote Rose, aber vor allem werde ich sein Lächeln nicht vergessen … “
Granny war in ihren Erinnerungen versunken, ihr Gesicht sah aus, als sei sie gerade in dem Augenblick wieder 16 Jahre alt und mit Großvater zusammen.
„Als ich vor ihm stand, sagte er nichts, er küsste mich einfach. Für einen Moment hatte ich vergessen, dass um uns herum Menschen waren. Sara, mein Schatz, falls du jemals so einen Kuss bekommst, was ich hoffe, warte nicht zu lange, schnapp dir den Jungen.“
„Granny?“
„Ja?“
„Wann hast du gewusst, dass Großvater der Richtige ist?“, fragte ich.
„Eigentlich schon, als ich ihn das erste Mal gesehen habe. Ich weiß, für die heutige Jugend klingt so was kitschig. Wirklich bewusst wurde es mir aber erst, als ich ihn fast verloren hatte. Eines Abends ging ich meinem Vater zuliebe mit Thomas aus. Weil er schon alles organisiert hatte, konnte ich nicht ’nein‚ sagen. Als ich Josef davon erzählte, tobte er vor Eifersucht. Obwohl ich beteuerte, es nur für meinen Vater zu tun, glaubte er mir nicht. Dein Großvater tauchte mit einer anderen Frau im gleichen Restaurant auf, in dem ich mit Thomas aß. War das ein Theater. Am Schluss bekamen beide Hausverbot.“
„Oh, mein Gott … haben sie sich um dich geprügelt?“, fragte ich mit weit aufgerissenen Augen. „Das ist so romantisch. Um mich schlägt sich niemand.“
„Das ist nicht so romantisch, wie du denkst. Mich machte es natürlich wütend. Erstens, weil es zeigte, dass er mir nicht vertraute und zweitens, weil er mit einer andern Frau aufgetaucht war.“
„Aber du warst ja auch mit einem anderen da.“
„Natürlich, aber nicht um ihn zu verletzen, nur meinem Vater zuliebe. Ich war enttäuscht darüber, dass er mir nicht vertraute. Als er sah, dass Thomas meine Hand halten wollte, stand er auf und schubste ihn vom Stuhl. Danach waren die beiden nicht mehr zu bremsen. Als man sie auf die Straße setzte, sagte ich ihm, ich wolle ihn nie wiedersehen. Natürlich meinte ich das nicht so, aber in diesem Moment war ich wirklich wütend. Ich sprach die nächsten Tage nicht mit ihm“, sagte sie und strich sich ihr Haar hinter das linke Ohr.
„Wie hat er sich entschuldigt?“
„Mit einem Brief, den ich fast zu spät fand. Eine Stunde vor Josefs Abreise nach Boston fand ich den Brief auf meinem Bett. Meine Mutter hatte ihn dort hingelegt, sie wusste ja nicht, wie wichtig er war. Ich musste zum Bahnhof, so schnell ich nur konnte. Kein Taxi wollte anhalten, also rannte ich durch die halbe Stadt. Oh, mein Gott, wenn ich mich daran erinnere … ich sah wahrscheinlich aus wie eine Verrückte. Ich hatte meine Schuhe ausgezogen, weil ich in ihnen nicht rennen konnte, also lief ich barfuß durch New York. Völlig atemlos suchte ich den Zug heraus und lief von Waggon zu Waggon, dabei versuchte ich ihn durch die Fenster zu erspähen. Die Panik hatte mich schon gepackt, ich dachte, ich würde ihn nicht finden. Plötzlich klopfte jemand an eines der Fenster. Es war Josef und er rief mir etwas zu, aber ich konnte ihn nicht hören, deswegen machte ich ihm mit Handbewegungen klar, dass er zur Tür kommen soll. Ich sprang ihm in die Arme, gestand ihm meine Liebe und sagte, dass ich warten würde. Er küsste mich, als sich der Zug in Bewegung setzte. Ich rannte ihm nach und er rief mir zu: Ich liebe dich, Mary Kristin Jackson, jetzt und für alle Zeit. Genau in diesem Moment wurde mir bewusst, er war der Eine . Albern nicht wahr? So was hättest du von deiner verrückten Großmutter nicht erwartet, was?“
„Granny, das ist ja wie in einem dieser alten Filme. Aber warum ging er weg?“, fragte ich verwundert.
„Er hatte einen Studienplatz in Harvard bekommen. Da sagt man nicht ‚Nein’. Ich wusste schon vorher, dass er gehen würde, nur nicht wann.“
„Das habe ich ja total vergessen. Großvater war an der Harvard … Wie lange war er denn weg?“
„Fast drei Jahre.“
„Und du hast ganze drei Jahre auf ihn gewartet?“
„Wir schrieben uns Briefe. Sehr viele Briefe. Als er zurückkam, hielt er um meine Hand an. Mein Vater wollte die Hochzeit nicht, also brannten Josef und ich durch. Ich war damals sehr jung, aber ich bereue nichts.“
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