Wächter des Elfenhains (German Edition)
langsam sein Kinn herab. Im gleichen Maße, wie die Macht in ihm anschwoll, schien der Körper seines Sohnes in sich zusammenzufallen, glomm das Licht seiner Seele schwächer und schwächer in der Dunkelheit, die er über sie geworfen hatte. Schon längst war seine Lebenskraft nicht mehr als ein dünnes, unbedeutendes Rinnsal, das sich in den tosenden Fluten verlor, die Sekunde um Sekunde durch die geöffneten Schleusentore seines Geistes nach draußen gerissen wurden. Nur noch wenige flatternde Herzschläge, und Andions Dunkelheit würde ewig währen.
Mit einem unwilligen Knurren riss Ogaire den Stachel seines Willens aus Andions Bewusstsein und stieß den Jungen von sich. Als die Verbindung zwischen ihm und seinem Sohn erlosch und der berauschende Strom der Macht, der in seinen Adern kochte, von einem Moment zum anderen versiegte, war es wie ein körperlicher Schock, doch ihm blieb keine Wahl. Das Gefäß war zu wertvoll, um es bereits jetzt zu zerbrechen. Er würde warten müssen, bis es sich wieder aufgefüllt hatte, bevor er erneut seinen Durst damit stillen konnte. Und diesmal gab es keinen Ionosen, der ihm den Becher aus der Hand schlug, bevor er ihn an seine Lippen zu setzen vermochte. Diesmal würden keine 17 Jahre vergehen, bis der kostbare Nektar endgültig und unwiderruflich ihm gehörte.
Zunächst jedoch würde er Andion benutzen, um mit seiner Hilfe in den Hain zurückzukehren. Natürlich stellte die magische Barriere der Ältesten nun, da er von der wahren Macht der Quelle getrunken hatte, kein Hindernis mehr für ihn dar, und er hätte sie so leicht und mühelos zerschmettern können wie ein Blatt Reispapier, das er unter dem Absatz seines Stiefels zermalmte. Durch Ionosens selbstloses Eingreifen aber hatte sich ihm die unerwartete Möglichkeit geboten, gänzlich ohne Gewalt und offenes Blutvergießen an sein Ziel zu gelangen, und er würde ein solches Geschenk nicht ungenutzt lassen. Entgegen der Meinung, die Ionosen vermutlich über ihn gehabt hatte, war er kein Schlächter, der in hirnlose Verzückung geriet, wenn er im Blut seiner Feinde schwamm. Ein Massaker war niemals etwas anderes als der letzte Ausweg, wenn keine anderen Mittel mehr zur Verfügung standen. Er hatte es stets vorgezogen, die Widerstände, auf die er traf, mit Raffinesse und Eleganz statt mit roher Brutalität beiseite zu räumen. Ionosen hatte ihn nie wirklich gekannt, wenn er das nicht gewusst hatte.
Er griff in die Tasche seiner Jacke und holte die Spritze hervor, die er bereits die ganze Zeit über bei sich trug. Mit geübten Bewegungen packte er Andions linken Arm, stieß ihm die Kanüle in die Vene und ließ das Blut seines Sohnes hineinströmen. Danach setzte er sich die Spritze selbst an den Arm, und bereits einen Moment später spürte er, wie sich Andions Blut prickelnd in seine Adern ergoss. Er fokussierte seinen Willen, flüsterte einen Zauber, gleichzeitig packte er den Jungen mit eisernem Griff, zog ihn vom Boden hoch und hielt ihn aufrecht vor sich. Keine Macht der Welt, weder die Elfen noch die Wesen des Kleinen Volkes oder die Quelle selbst, würde nun noch in der Lage sein, die Aura seiner Lebenskraft von der seines Sohnes zu unterscheiden. Für sie alle würde es scheinen, als wäre es nur eine einzige Person, die in den Hain zurückkehrte. Sie würden allein Andions Anwesenheit wahrnehmen, und niemand würde Verdacht schöpfen – bis es zu spät war.
Den Körper des Jungen weiterhin wie eine Puppe vor sich haltend, trat er vorwärts. Die Magie der Ältesten, die noch wenige Minuten zuvor wie eine unüberwindliche Mauer vor ihm emporgeragt hatte, floss von ihm ab wie Wasser, vermochte ihn nicht länger aufzuhalten. Mit einem triumphierenden Lächeln schritt er durch den Nebel, der plötzlich um ihn herumwallte, verstärkte noch einmal den Zauber, der ihn für die Augen aller übrigen Lebewesen unsichtbar machte, dann trat er auf der anderen Seite der Barriere auf die alte, vertraute Lichtung hinaus.
Er ließ Andion scheinbar noch ein paar unsichere Schritte weiterwanken, dann ließ er ihn achtlos zu Boden sinken. Für die Sylphen und Dryaden und Blütenfeen musste es so aussehen, als hätte sich sein Sohn geschwächt, aber aus eigener Kraft in den Hain zurückgeschleppt, ehe er schließlich, von seiner Erschöpfung überwältigt, ohnmächtig zusammenbrach.
Auch die Elfen würden keinen Grund haben, etwas anderes zu vermuten. Sie würden ihn finden, und sie würden ihn wieder auf die Beine bringen. Und
Weitere Kostenlose Bücher