Wächter des Elfenhains (German Edition)
so grob mit ihr umgesprungen war, sie so brüsk von sich gestoßen hatte. Zugleich fühlte er, wie neue Angst seinen Magen zusammenzog. Was, bei allen Bäumen, machte sie hier? Trotz seiner Sehnsucht nach ihr war sein Gefängnis im Augenblick wahrhaftig der letzte Ort, an dem er sie sehen wollte. Er würde nicht die Kraft haben, sie zu beschützen, wenn die Klinge des Fallbeils ihn traf, und er wusste, dass sie sich lieber beide Arme abhacken lassen würde, als tatenlos danebenzustehen und zuzuschauen, wie er von dem Rest ihres Volkes in Stücke gerissen wurde.
Er hatte den Gedanken kaum beendet, als die Tür auch schon aufflog und Maifell in den Raum stürzte. Die magische Barriere, die ihn gefangen hielt, stellte für sie natürlich kein Hindernis dar, ebenso wenig wie für alle übrigen Elfen, und sie stürmte durch sie hindurch, ohne ihr auch nur die geringste Beachtung zu schenken, während sich der Blick ihrer wunderschönen blauen Augen voller Panik und Entsetzen auf ihn richtete.
„Andion, du musst fliehen! Sofort!“ Ihre Stimme war nur ein qualvolles, abgehacktes Keuchen, so außer Atem war sie. Sie musste den ganzen Weg von Tigarains Aufbahrungsstätte bis hierher gerannt sein.
Andion starrte sie an, war für einen Augenblick nicht in der Lage, sich zu rühren. Nun war also geschehen, was vermutlich von Anfang an unvermeidlich gewesen war. Die schwelende Glut war zu einem offenen Feuer geworden, zu einem grellen, lodernden Flammenmeer, das über ihn hinwegwogen und nur Asche zurücklassen würde. Auch Maifell würde daran nichts ändern können. Selbst wenn es ihr tatsächlich gelingen sollte, den Zauber zu brechen, der sein Gefängnis umschloss, und ihm so zur Flucht zu verhelfen – was nicht einmal sicher war -, würden die Flammen ihn schließlich einholen.
Er streckte den Rücken durch, versuchte, den harten Knoten der Furcht zu ignorieren, der in seinem Magen pochte, und sagte mit aller grimmigen Entschlossenheit, die er aufzubringen vermochte: „Verschwinde von hier, Maifell! Du kannst mir nicht helfen. Wenn dein Volk mein Blut will, dann sollen sie es haben. Aber ich werde nicht zulassen, dass auch dein Blut vergossen wird!“
Maifell schüttelte wild den Kopf; ihr Blick war ein einziges Flehen. „Bei allen Bäumen, Andion, jetzt ist nicht die Zeit für Diskussionen! Er wird gleich hier sein!“
Andion runzelte die Stirn. „Er?“
„Gairevel. Er kommt, um dich zu töten, Andion!“ Sie schluchzte auf. „Ich habe neben ihm gestanden, während mein Volk die Totenklage für Tigarain sang, und ich habe seinen Hass gespürt. Er macht dich für die schrecklichen Ereignisse der letzten Tage verantwortlich, und Tigarains Tod war der letzte Beweis, den er noch brauchte, um sich seiner Sache völlig sicher zu sein. Er hat die Menschen schon immer verachtet, und niemand verehrt den Rat der Ältesten so sehr wie er. Als er sich abwandte und die Aufbahrungsstätte verließ, ohne das Ende der Trauerfeierlichkeiten abzuwarten, habe ich gefühlt, was er vorhatte. Ich bin gerannt, so schnell ich konnte, aber uns bleibt nicht viel Zeit!“
Andion schwindelte. Gairevel? Ausgerechnet jener stolze, würdevolle Krieger, der stets voller Vertrauen und Zuversicht in die Zukunft geblickt hatte und der auf seine grimmige, unbeugsame Art sein Volk und den Hain vermutlich noch mehr liebte, als Maifell dies tat, würde sein Henker sein? Wie verzweifelt musste er sein, wie ohnmächtig und hilflos musste er sich fühlen, wenn er glaubte, den Rat und die Elfen nur auf diese Weise vor weiterem Schaden bewahren zu können? Und wie lange würde es dauern, bis der Rest seines Volkes seinem Beispiel folgte?
Andion schüttelte den Kopf und sah Maifell fest in die Augen. „Geh, Maifell! Sofort! Ich werde nicht vor Gairevel davonlaufen!“
Maifell öffnete den Mund, wollte etwas sagen, als eine Lohe aus Wut und Hass heiß wie der Atem eines Drachen über sie hinwegfauchte und ein düsterer Schatten das Licht verschluckte, das durch die offene Tür von draußen hereinfiel.
„Verräterin!“
Hoch aufgerichtet und majestätisch wie ein Gott, der aus seinen finsteren Hallen herabgestiegen war, um über die Sünden und Verfehlungen der Menschen zu richten, trat Gairevel in den Raum. Andion spürte, wie Maifell vor Entsetzen starr wurde, und schob sich rasch vor sie.
„Lass sie in Ruhe, Gairevel! Ich bin der, den du willst, nicht sie.”
Gairevel blickte ihn an. Seine Miene war unbewegt, wirkte so hart und kantig wie
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