Wächter des Elfenhains (German Edition)
endgültig über ihn herein.
Es war bittere Ironie, dass es geschah, unmittelbar nachdem er sich dazu durchgerungen hatte, Rilcaron und den übrigen Ältesten sein Geheimnis zu offenbaren. Obwohl die Elfen durch sein Schweigen während der vergangenen Tage vermutlich wenig Neigung verspüren würden, seinen Worten zu lauschen und der Bitte, die er an sie zu richten gedachte, Gehör zu schenken, hatte er schließlich einsehen müssen, dass ihm keine andere Wahl blieb, als den Rat um ein Gespräch zu ersuchen. Er musste darauf vertrauen, dass Rilcaron und der Rest seiner Bande trotz ihrer Borniertheit und Arroganz genug Verstand in ihren Schädeln hatten, um ihn für sein ketzerisches Begehren nicht auf der Stelle auspeitschen oder auf einem Scheiterhaufen brennen zu lassen. Ohne ihre Einwilligung jedoch, das war ihm nur allzu deutlich bewusst, wäre sein Plan von vornherein zum Scheitern verurteilt, denn Neanden und Gairevel würden ihn niemals gewähren lassen.
Er hätte sich selbst ohrfeigen können, dass er nicht sofort darauf gekommen war, aber zu vieles war zu schnell auf ihn eingestürmt, und er hatte einfach nicht daran gedacht – wobei hinzukam, dass vor seinem denkwürdigen Erlebnis am See der Gedanke an ein derartiges Unterfangen ohnehin völlig absurd gewesen wäre. Nun allerdings sah die Sache anders aus.
Mit jener eigentümlichen Gewissheit, die ihn bereits bei seinem ersten Blick auf die Lebensstränge erfüllt hatte, hatte er in zunehmendem Maße gespürt, dass die Erklärung für all die grauenvollen Ereignisse der letzten Tage einzig in der Quelle selbst zu finden sein würde. Irgendetwas war mit dem Herzen des Waldes geschehen, etwas Entsetzliches und Furcht einflößendes, das weit über Ogaires ursprüngliche Besudelung hinausging. Er wusste nicht, warum es gerade jetzt begann, was der Auslöser des schrecklichen Verfalls war, der die bedauernswerten Opfer heimsuchte, aber eins wusste er mit Sicherheit: Die Quelle war der Schlüssel zu allem – und nur er besaß die Macht, dorthin zu gelangen.
Das war eine der erstaunlichsten Erkenntnisse gewesen, die er bei seinem zweiten Besuch bei den Elfen bisher gewonnen hatte. Keiner von ihnen hatte auch nur den blassesten Schimmer, wo sich das Herz des Waldes tatsächlich befand. Maifell hatte ihm bei einem ihrer Spaziergänge davon erzählt, und zuerst hatte er sie ungläubig angestarrt, da er ganz selbstverständlich davon ausgegangen war, dass jeder Elf genau wusste, wo das größte Heiligtum seines Volkes zu finden war. Aber natürlich war das eine naive Annahme gewesen, denn die Elfen konnten nicht sehen, was er sah – und was offenbar auch Ogaire mithilfe seiner finsteren Magie zu sehen vermocht hatte.
Zudem gab es anscheinend noch einen weiteren Stolperstein, der allein schon ausgereicht hätte, eine Entdeckung durch die Elfen schwierig, wenn nicht gar unmöglich zu machen. Maifells Worten zufolge blieb das Herz des Waldes niemals lange an einem Ort, sondern bewegte sich wie der Blütenstaub einer Blume, der vom Wind davongetragen wird, stetig durch den Hain. Er aber würde immer wissen, wo es war. Er müsste einfach nur den Lebenssträngen bis zu ihrem Ursprung folgen.
So simpel es allerdings in der Theorie klang, so unmöglich würde es gegen den Willen der Ältesten durchzuführen sein. Bis zuletzt hatte Andion darauf gehofft, den Rat am Ende irgendwie davon überzeugen zu können, dass er nichts Böses im Schilde führte, dass sich ihnen mit seiner Hilfe zum ersten Mal seit 90 Jahren die Chance bot, die Ketten der Hilflosigkeit und Lethargie zu sprengen, die Ogaire ihnen aufgezwungen hatte, und tatsächlich zu handeln. Einen Befreiungsschlag zu führen, mit dem sein Vater niemals gerechnet hatte.
Und es konnte wirklich ein Befreiungsschlag sein. Die Quelle war beschmutzt worden, vergiftet von Ogaires widerwärtigem Zauber, doch vielleicht – allein der Gedanke ließ Andion schwindeln -, vielleicht war es möglich, diesen Schmutz und das Gift fortzuspülen und die Wunde wieder zu schließen, die ihr vor so langer Zeit geschlagen worden war. Vielleicht wäre es schon immer möglich gewesen, wenn die Elfen nur gewusst hätten, wo sie hätten suchen müssen, immerhin waren sie magische Wesen – und sie besaßen die Fähigkeit zu heilen. Er hätte die Quelle nur einmal mit eigenen Augen zu sehen brauchen, um ihnen genau sagen zu können, wohin sie ihre Zauberkraft hätten lenken müssen.
Doch diese Gelegenheit hatte er nicht erhalten.
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