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Wächter des Elfenhains (German Edition)

Wächter des Elfenhains (German Edition)

Titel: Wächter des Elfenhains (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gavénis
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ihres Entsetzens der Heiler in ihr bereits wieder die Oberhand gewann. Sie eilte an ihm vorbei zu dem Gestürzten, drehte ihn auf den Rücken und legte ihm rasch eine Hand auf die Stirn. Nur einen Moment später jedoch zog sie sie mit einem leisen Aufschrei wieder zurück, als habe sie ihre Finger in eine Schale mit Säure getaucht, und ihr bleiches, von der Angst und Hilflosigkeit der letzten Minuten gezeichnetes Gesicht wurde noch eine Spur blasser.
    „Er ist tot“, flüsterte sie. Beinahe flehend sah sie Andion an. „Andion, was ist passiert? Was, bei allen Bäumen, geht hier vor?“
    Andion hob die Hand, bedeutete ihr mit angespannter Miene zu schweigen. Langsam, vorsichtig wandte er den Kopf, ließ seinen Blick mit wachsamer Konzentration durch den kleinen Raum wandern. Dann, gedankenschnell, stieß er mit seinem Willen zu.
    Die Schatten in einer der Ecken des Zimmers begannen plötzlich zu wabern, als seien sie nicht mehr als ein sprödes Blatt Papier, das sich unter der Hitze eines nahen Feuers verformte, kurz bevor es endgültig in Flammen aufging, dann zerriss ein schrilles Kreischen die Luft, und der winzige Körper einer Sylphe stürzte torkelnd und sich überschlagend von der Decke herab.
    Würgende Übelkeit stieg Andion die Kehle empor, als er vorsichtig näher herantrat und auf den bleichen, aufgequollenen Leib des ätherischen Wesens starrte, der zuckend und sich windend wie ein zerschnittener Wurm vor ihm am Boden lag. Das zarte, liebliche Gesicht der Sylphe wirkte teigig und grau, und der warme, samtige Goldschimmer ihrer Augen war zu fauligem Gelb geronnen, das wie dickflüssiger Eiter die Höhlungen ihres Schädels zu füllen schien. Und doch steckten Intelligenz und Leben in diesen Augen, ein deformiertes, widernatürliches Leben, entstellt und verzerrt und bösartig, Leben, das bis in die winzigste Zelle von einer finsteren Macht besudelt und vergiftet worden war. Andion spürte die Dunkelheit in ihrer Seele, die kalte, grausame Umklammerung eines fremden Willens, der die winzige Sylphe ergriffen und binnen eines Lidschlags zu seinem Werkzeug gemacht haben musste, und seine Hände ballten sich zu Fäusten. Mit einem einzigen zornigen Gedanken zerschmetterte er den Zauber, der das fragile Geschöpf gefangen hielt, befreite es aus dem qualvollen Kerker, in den es hineingezwungen worden war.
    Der zarte Körper zuckte zusammen und verkrampfte sich, als werde er von einem boshaften Kind genüsslich auf einen Nagel gespießt, dann erbebte die Sylphe, und ihre entsetzlichen gelben Augen richteten sich auf Andion. Ein Hauch von Dankbarkeit streifte ihn, das bleiche, aufgedunsene Gesicht entspannte sich, und ihr Blick brach.
    Einen Moment lang war Andion wie betäubt, starrte auf das kleine Wesen, das reglos und still zu seinen Füßen lag. Er spürte, wie etwas in seiner Seele zerbrach, spürte, dass eine Grenze überschritten worden war, die niemals hätte überschritten werden dürfen, und heißer Zorn kochte in ihm empor.
    „Ogaire“, flüsterte er. Er hob den Blick, wandte den Kopf in eine bestimmte Richtung, und seine Miene wurde hart. „Vater.“
    Maifell sah ihn verwirrt an. Andion atmete tief durch. So vieles hatte sich in so kurzer Zeit verändert; Welten waren zertrümmert worden und hatten sich neu geformt, waren aus Asche und Staub zu neuer, unerwarteter Schönheit erblüht, und die schwarze Spinne, die still und tödlich in der Dunkelheit gelauert und ihre Netze gesponnen hatte, war endlich ins Licht hinausgezerrt worden. Doch all das wurde bedeutungslos, als er in Maifells wundervolle blaue Augen blickte und die Furcht und Besorgnis in ihrer Seele spürte. Er hatte sie in den albtraumhaften Strudel aus Gewalt und Tod hineingezogen, der sein Leben bestimmte, und er schuldete ihr eine Erklärung für das, was ihrem Volk in den letzten Wochen widerfahren war. Das zumindest konnte er für sie tun, ehe er die Klinge aus Gram und Schmerz, mit der er sie in den vergangenen Tagen von sich ferngehalten hatte, ein letztes Mal in ihr Herz trieb.
    Er hob die Hand, berührte sanft ihre Wange. „Ogaire. Er ist hier. Er ist es schon die ganze Zeit. Er hat Gairevel, Tigarain und die anderen getötet.“
    Blankes Entsetzen legte sich auf Maifells Züge. „Aber wie ...?“ Ihre Stimme versagte.
    Andion deutete auf die tote Sylphe. „Sie war Ogaires Späher. Durch sie hat er alles erfahren, was er wissen wollte.“ Er presste grimmig die Lippen aufeinander. „Die ganze Zeit waren wir nichts weiter

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