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Wächter des Elfenhains (German Edition)

Wächter des Elfenhains (German Edition)

Titel: Wächter des Elfenhains (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gavénis
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sein schneeweißer Körper lautlos durchs Wasser glitt, wanderten seine scharfen Vogelaugen unruhig hin und her, schienen unermüdlich nach verborgenen Gefahren Ausschau zu halten.
    Versonnen runzelte Andion die Stirn. Ob die Schwäne manchmal auch so seltsame Dinge sahen wie er?
    „Habe ich dir jemals erzählt, was Ogaire getan hat, nachdem er seinen erstgeborenen Sohn getötet hatte?“, fragte Ian unvermittelt.
    Andion erstarrte, als habe sich sein Blut von einer Sekunde auf die andere in Eiswasser verwandelt. Ogaire an’Tairdym – allein der Name ließ ihn bis ins Mark erbeben, und das, obwohl er natürlich wusste, dass Ogaire, wie alles andere auch, lediglich eine Fantasiegestalt war, nur eine weitere schillernde Figur aus Ians unerschöpflichem Schatzkästlein mythologischer Geschichten. Doch diese Geschichte spendete keinen Trost, half ihm nicht, das Joch seiner Herkunft leichter zu tragen und die Qual seines Andersseins erträglicher zu machen. Denn Ogaire an’Tairdym war ein Monstrum, die Verkörperung des absolut Bösen, unheimlicher und Furcht einflößender als der Schwarze Mann – und um vieles tödlicher. Letzter Abkömmling eines einstmals mächtigen Elfengeschlechts, war er von einer der größten Hoffnungen seines Volkes zu seinem schrecklichsten Albtraum geworden, zu einem Mörder und Verräter, der die Liebe und das Vertrauen jener, die ihm am nächsten gewesen waren, auf grauenhafteste Weise missbraucht hatte. Der alles, was gut und rein gewesen war, mit kaltem Stahl aus ihren Herzen geschnitten und nichts als Trauer und Verzweiflung zurückgelassen hatte, nichts als Wut und Schmerz und Tränen, die auch in tausend Jahren nicht getrocknet sein würden.
    Andion schlang sich fröstelnd die Arme um den Leib. Ein düsterer Schatten schien sich mit einem Mal auf die Welt herabzusenken, legte sich wie Asche auf das leuchtende Grün der Gräser, Büsche und Bäume ringsum, und trotz der sommerlichen Wärme war plötzlich ein kalter Hauch in der Luft, der wie die Hand eines Toten über sie hinwegstrich, sie zu sich in sein dunkles Grab zu rufen schien. Andion spürte, wie sich seine Rückenmuskulatur verkrampfte, und nur mit Mühe konnte er den Impuls unterdrücken, furchtsam über seine Schulter nach hinten zu blicken. Selbst der Schwan neben ihm hob alarmiert den Kopf, als hätten sich bei der Nennung des Namens auch ihm die Federn gesträubt, und schaute Ian anklagend an.
    Andion musste sich zweimal räuspern, ehe es ihm gelang, seine Worte an der plötzlichen Enge in seiner Kehle vorbeizuzwingen, und schüttelte langsam den Kopf.
    „Nein, das hast du nicht.“
    Und er war sich auch nicht sicher, ob er tatsächlich etwas darüber wissen wollte. Nachdem Ian ihm zum ersten Mal die furchtbare Geschichte erzählt hatte, in der Ogaire sein neugeborenes Kind opferte, um sein eigenes Leben zu verlängern, hatte er wochenlang unter schaurigsten Albträumen gelitten – Albträumen, in denen Ogaire nicht dem Säugling, sondern ihm sein Messer an die Kehle gesetzt hatte.
    Er runzelte die Stirn und betrachtete misstrauisch Ians gleichmütiges Gesicht. Warum fing er gerade jetzt davon an? Er hatte bereits mehrere Male nach den genaueren Hintergründen und dem weiteren Fortgang der schrecklichen Geschehnisse gefragt, aber Ian hatte ihm niemals geantwortet. Wieso hatte er seine Meinung so plötzlich geändert? Andion atmete tief durch und straffte seine Schultern.
    „Erzähl es mir!“
    Ein Schatten glitt über Ians Gesicht, als hätte eine alte Wunde plötzlich wieder zu schmerzen begonnen, dann wandte er den Blick von ihm ab und schaute über den See. Seine sanften blauen Augen verdunkelten sich, wirkten auf einmal finster und tief wie Brunnen, die hinabführten zu einem Ort, den kein Licht der Sonne jemals erreichen würde, und er schien weder Esendion, der mittlerweile sichtlich unruhig auf dem stillen Wasser seine Kreise zog, noch das gegenüberliegende Ufer wahrzunehmen. Als er zu sprechen begann, hielt Andion unwillkürlich den Atem an – und mit ihm taten es die Tiere des Parks.
    „Nachdem Ogaire sein Kind geopfert hatte, verließ er den Hain und ging in die Menschenwelt.“
    Andion blinzelte überrascht. „Die anderen Elfen haben ihn einfach so gehen lassen? Haben sie nicht versucht, ihn aufzuhalten oder zu bestrafen?“
    Ian schüttelte den Kopf. „Er war längst fort, ehe einer von ihnen noch richtig begriff, was geschehen war. Aber selbst wenn sie ihn rechtzeitig hätten stellen können, ist

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