Wächter des Elfenhains (German Edition)
kapitale Dummheit hoffen sollte. Wenn er tatsächlich halb damit rechnete, dass Ionosen ihn in den Hain begleitete, bedeutete das ...
Mit einem flauen Gefühl im Magen sah er in die Richtung, aus der, lautlos und doch unendlich wundervoller als alles, was er jemals zuvor gehört hatte, die Stimme des Elfenhains in seiner Seele wisperte.
„Sie werden mich erkennen, nicht wahr? Sie werden wissen, wer mein Vater ist.“
Ionosen seufzte. „Das werden sie. Deine Augen werden es ihnen verraten. In deinen Adern fließt das Blut der an’Tairdym, ebenso wie in den seinen. Sie werden es sehen, und sie werden es spüren.“
Andion schnitt eine Grimasse. „Ich nehme an, der Begrüßungscocktail fällt diesmal aus.“
Ionosen sah ihn ernst an. „Du bist Ogaires Sohn und dazu nicht einmal ein reinblütiger Elf. Keiner von ihnen wird dich vorbehaltlos akzeptieren.“
Andion schluckte. „Werden sie mir überhaupt zuhören? Werden sie nicht lediglich das Monster in mir sehen, das mich gezeugt hat?“
Ionosen wich seinem Blick aus, starrte auf seine Hände. „Ich weiß es nicht.“
Andion spürte, wie die Furcht, die er in den letzten Minuten erfolgreich zurückgedrängt hatte, mit jäher Wucht zu ihm zurückkehrte. „Ich bin der Sohn desjenigen, der zwei von ihnen getötet und den Hain vergiftet hat. Was sollte sie davon abhalten, mir einfach einen Ast über den Schädel zu ziehen und meinen Kopf auf den nächsten Baumstumpf zu spießen?“
Da nahm Ionosen ihn bei den Schultern und sah ihn eindringlich an. „Dein Name. Andion bedeutet nicht nur Hoffnung, es ist auch ein heiliger Name - einer, den nur ein Elfenprophet verleihen darf. Und auch wenn ich gegen einen ausdrücklichen Befehl des Ältestenrates gehandelt habe, werden sie doch wissen, dass du diesen Namen nicht grundlos erhalten hast. Sie werden erkennen, dass ich an dich glaube.“
Andion senkte den Kopf. „Ogaire hat sie schon einmal betrogen. Sie werden denken, dass er dich längst getötet hat und der Name lediglich eine List ist, um sie erneut zu täuschen.“
„Nicht, wenn du dies bei dir trägst.“
Ionosen reichte Andion einen kleinen, silbernen Gegenstand, der wie eine Münze aussah. Sie kribbelte heftig auf seiner Haut.
Andion runzelte die Stirn. „Was ... was ist das?“
„Eine Kafén. Sie trägt eine magische Botschaft. Sie wird den Ältesten alles erklären, was sie wissen müssen.“
Andion betrachtete skeptisch das unscheinbare, trotz des wolkenverhangenen Himmels im trüben Licht der Sonne schimmernde Plättchen, das warm auf seiner Handfläche prickelte. „Man kann so etwas nicht fälschen, oder?“
Ionosen schüttelte den Kopf. „Nein. Sie ist stets von der Aura des Elfen umgeben, der sie geschaffen hat. Verlier sie nur nicht.“
„Ganz sicher nicht.“ So wie es aussah, war Ionosens kleiner magischer Brief das Einzige, was zwischen ihm und einem Mob blutrünstiger Elfen stand, die vermutlich nichts lieber tun würden, als ihn johlend am nächsten Baum aufzuknüpfen, nachdem sie ihm zuvor mit handfesten Argumenten klar gemacht hatten, wie sehr sie sich darüber freuten, nach 90 Jahren ohnmächtigen Zorns und hilflosen Erlebens des eigenen Niedergangs endlich den kleinen Ogaire junior kennenlernen zu dürfen. Andions Mut sank. Wie sollte er sie jemals davon überzeugen, dass er nichts Böses im Schilde führte? Dass er kein Spion Ogaires war, der ihnen heimtückisch einen Dolch in den Rücken stieß, sobald sie ihm die Hand zur Freundschaft reichten? Vielleicht vermochte Ionosens Kafén, an ihrem Misstrauen etwas zu ändern, vielleicht belog er sich damit aber auch nur selbst.
„Noch etwas“, fuhr Ionosen fort, und Andion spürte sofort die Furcht, die plötzlich in seiner Stimme mitschwang. Er hob den Kopf und sah in Ionosens angespanntes Gesicht. Ionosen holte tief Luft.
„Mein Sohn, Neanden, ist nach Ogaire zum Wächter des Hains ernannt worden. Du wirst also zuerst auf ihn treffen, und er ... er wird dich sicher nicht willkommen heißen. Er war schon damals von Hass auf Ogaire zerfressen, deshalb beuge dich ihm sofort, oder es könnte sein, dass er dich auf der Stelle tötet.“
Andion sog erschrocken Luft ein. Neanden. Ionosens Sohn hatte nicht nur seine Tante, sondern letztlich auch seinen Vater an Ogaire verloren, und vermutlich hatte er 90 Jahre lang nur für einen einzigen Tag gelebt – den Tag, an dem er dem feigen Mörder das Leid, das er über seine Familie gebracht hatte, mit gleicher Münze würde
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