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Wächter des Elfenhains (German Edition)

Wächter des Elfenhains (German Edition)

Titel: Wächter des Elfenhains (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gavénis
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fröhlich wie eine klar sprudelnde Quelle inmitten des Hains, und ihre Schritte waren so leicht, als würde sie von Sylphen getragen in die weite Halle schweben.
    Neanden spürte, wie sein Herz schneller gegen seine Rippen schlug. Was, bei allen Bäumen, machte ausgerechnet sie hier? Gab es an diesem absurden Morgen überhaupt noch irgendjemanden, der einfach nur in seinem Bett lag und schlief? Ein enger Klumpen stieg seinen Hals empor und verschloss seine Kehle. Wie jedes Mal, wenn er Maifell um sich wusste, wünschte er, er könnte tröstend einen Arm um sie legen, könnte sie an einen Ort bringen, an dem es nicht so viel Schmerz und Tod gab. Einen Ort, an dem sie niemals Kummer leiden, an dem sie nicht Tag für Tag denen, die sie liebte, bei ihrem langsamen Sterben zusehen musste.
    Jeder Verlust quälte sie, mehr als jeden anderen, denn ihr Herz war voller Mitgefühl und Wärme. Doch gerade das machte sie verwundbar, gerade das ließ den Tod zu ihrem ständigen Begleiter werden, zu einem düsteren Schatten, der bereits auf sie wartete, wohin auch immer sie ihre Schritte lenkte. Er würde alles dafür geben, könnte er die Last, die sie trug, auf seine eigenen Schultern laden. Aber das war nicht möglich. Er war zu schwach, um ihr beizustehen – so wie alle anderen. Denn ihr Sanftmut und ihre Güte verliehen der heilerischen Gabe, die jedem Elf zu eigen war, mehr Stärke als gewöhnlich. Maifell war bei Weitem die beste Heilerin, die es seit Jahrhunderten im Hain gegeben hatte, und doch konnte auch sie nur lindern, nicht heilen.
    Neanden presste bitter die Lippen aufeinander. Selbst wenn sie um Hilfe gebeten hätte, wieso hätte sie ausgerechnet ihn fragen sollen? Er besaß nichts, was für sie auch nur von geringstem Interesse gewesen wäre, weder als Heiler noch ... bei allem anderen.
    Sie trat wie er vor den Rat, kniete nun an seiner Seite, stumm, abwartend, wie es der Tradition entsprach.
    Neanden spürte, wie Rilcaron sie beide mit seinen Blicken maß, und er spürte ebenso das intensive Gefühl von Befriedigung und Triumph, das den Ältesten plötzlich erfüllte. Mit gewichtiger Miene begann er zu sprechen.
    „Maifell, Neanden, ihr seid die beiden jüngsten Kinder unseres Volkes. Ihr seid diejenigen, die die Hoffnung für unsere Zukunft in sich tragen. Gerade in dieser verzweifelten Zeit ist es unser Wunsch, dass ihr das Licht der Elfen neu erstrahlen lasst!“
    Neanden erstarrte. Sein Herz raste plötzlich so heftig, dass er glaubte, es müsste jeden Augenblick in seiner Brust explodieren, und die Welt begann sich um ihn zu drehen. Maifell sollte seine Frau werden? Der Rat wollte sie vermählen ?
    Zitternd schloss er die Augen, und seine Schultern krümmten sich. Scham und Furcht schnürten ihm die Kehle zusammen, erstickten das winzige Fünkchen der Freude, das zaghaft in der kalten Asche seiner Seele erwachte. Wie konnten sie ihm das nur antun? Wie konnten sie ihm derart grausam ein Messer ins Herz stoßen? Maifell war so zart, so rein und unschuldig wie frisch gefallener Schnee, ihre Seele so makellos und unverdorben wie eine Blume, die im warmen Schein der Frühlingssonne zu neuem, blühendem Leben erwacht. Wie oft hatte er davon geträumt, sie zu berühren, hatte sich vorgestellt, wie es wäre, sie in seinen Armen zu halten, ihre samtene Haut zu liebkosen und den würzigen Duft ihres Haares zu riechen, ihre weichen Lippen auf den seinen zu spüren und die Trostlosigkeit seines Lebens für einen kurzen, gnadenvollen Moment vergessen zu können.
    Doch er wusste, dass er sich damit nur selbst belog. Er war nicht würdig, an Maifells Seite zu stehen. Was hatte er ihr schon zu bieten außer Dunkelheit? Würde nicht sein düsterer Schatten das Licht von ihr fernhalten, ihre leuchtenden Farben unweigerlich verblassen und ihre wundervolle Lebensfreude und Vitalität dahinwelken lassen? Und dennoch ...
    Neanden öffnete die Augen, versuchte tief durchzuatmen. Wer war er, an der Entscheidung des Rates zu zweifeln und seine Weisheit infrage zu stellen? Sie waren die Ältesten ! Sie waren schon alt gewesen, Jahrhunderte bevor er seinen ersten krähenden Atemzug getan hatte, und sie vermochten Wahrheiten zu erkennen, die allen anderen verborgen blieben. Vielleicht – Neanden erbebte vor qualvoller Sehnsucht, einer Sehnsucht, der er nie gewagt hatte, Raum zu geben – vielleicht konnte es hier ja genauso sein. Vielleicht kannten sie ihn besser als er sich selbst, erblickten Hoffnung, wo er nur Dunkelheit sah. Wie

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