Wächter des Mythos (German Edition)
über Ihr Mobiltelefon lokalisieren. Es macht wenig Sinn, Sie in Sicherheit zu bringen, wenn unser Scharfschütze Sie kurz darauf erneut aufspürt.«
»Wer sollte mich denn orten wollen?«
»Ihr Arbeitgeber.«
»Wie meinen Sie das?«, fragte Sandino ungläubig.
»Gewisse Mitstreiter Ihrer Organisation könnten daran interessiert sein zu wissen, wo Sie sich gerade aufhalten.« Unerwartet trat der Inspektor hart auf die Bremse und hielt am Straßenrand an. »Ich hab es mir anders überlegt, schalten Sie Ihr Mobiltelefon wieder an und geben Sie es mir.«
»Was ist denn jetzt los?«, fragte Sandino total verwirrt.
»Machen Sie schon, ich will Ihr Telefon der Streife geben, sie sollen damit spazieren fahren.«
Zweifelnd schaltete Sandino sein Mobiltelefon an und reichte es Inspektor Rey. Dieser ging damit zum Streifenwagen, der ihnen gefolgt und auch am Straßenrand zum Stehen gekommen war. Durch ein Missgeschick fiel dem Inspektor das Telefon aus der Hand, es schlug auf dem Randstein auf. Dennoch sahen sie, wie er auf den Beamten einredete und ihm daraufhin das Telefon reichte. Dann kam er zurück und öffnete die Fahrertür.
»Unter dem Sitz gibt es einen Verbandskasten«, sagte er beim Einsteigen. Nachdem er sich umgedreht und seine beiden Passagiere kurz gemustert hatte, ergänzte er: »Vergessen Sie’s. Ich werde mit Ihnen jetzt erst mal zu einem Arzt fahren.«
Sandino warf Alina einen Blick zu. Sie war erschöpft, aber beruhigt und hielt sich mit schmerzverzerrter Miene die Schulter.
»Es sieht schlimmer aus, als es ist«, sagte sie.
Der Inspektor nahm sein Mobiltelefon und gab eine Nummer ein. »Ich werde meiner Schwester Estella Bescheid sagen, sie ist Ärztin und kann Sie beide versorgen.«
Während draußen die Straßen vorbeiglitten, wirbelten in Sandinos Kopf die Geschehnisse der letzten Tage durcheinander. Wieder war Alina nur knapp dem Tod entronnen.
In einer von grünen Bäumen und Sträuchern gesäumten Straße hielt der Inspektor vor einer blendend weißen Fassade, die hinter einem einfachen Vorgarten lag. Eine Arztgehilfin führte sie ins Sprechstundenzimmer, wo sie von einer liebenswürdigen Frau im weißen Kittel empfangen wurden.
»Kommen Sie, Señorita, ich werde zuerst Ihre Wunde versorgen.« Sie war etwa Mitte dreißig und ihre Stimme angenehm, sie sprach vertraulich und kam schnell zur Sache, insofern glich sie ihrem Bruder.
»Übernimm dich nicht«, murmelte dieser ihr im Vorbeigehen zu. Sie verdrehte die Augen und machte sich sorgfältig mit Alkohol und Watte an Alinas Wunde zu schaffen.
»Sie hatten Glück im Unglück, die Kugel hat Sie nur gestreift«, sagte Estella aufmunternd zu Alina, nachdem sie ihre Wunde versorgt hatte. Auch Sandinos Schnittwunden an der Handfläche und am Gelenk waren allesamt nicht tiefer als kleinere und größere Kratzer und schnell versorgt.
Bald darauf hatten sie sich von der freundlichen Ärztin verabschiedet und fuhren in ihrem weißen Peugeot durch die Straßen. Der Inspektor hatte es für besser gehalten, den Wagen zu wechseln, solange sie sich in Burgos aufhielten. Wieder fuhren sie kreuz und quer durch die Stadt an historischen Plätzen und Denkmälern vorbei, um schließlich irgendwo in einer verwinkelten Gasse etwas abseits der geschäftigen Straßen zu parken.
»Zuerst kümmern wir uns um Ihr leibliches Wohl, dann überlegen wir uns den nächsten Schritt«, sagte der Inspektor und wies auf die Bodega an der gegenüberliegenden Straßenecke.
Aus der unversperrten Tür der Bodega drang gedämpfte Musik, ein spanischer Schlager, der von einer mit Inbrunst singenden Stimme begleitet wurde. Die Bodega war klein, etwas muffig und verstaubt, aber von eben der Art, die das wahre Spanien verkörperten. Keramikfliesen zierten im Inneren die Wände und hinter einer langen Theke waren Flaschen in allen Formen und Größen aufgereiht. Drei große Schinken baumelten von der Decke, Marmortische waren im Raum verteilt und auf einem Barhocker saß eine Schiffbrüchige, die wohl auch zum Inventar zählt und jetzt nur noch leise mitsang.
Der Inspektor kannte diese Frau, eine verblühte Schönheit mit einer Locke auf der Stirn und dick geschminkten Zigeuneraugen. Silberne Armreifen klimperten, während ihre knochigen Finger das leere Sherryglas auf die Theke stellten.
»Wenn Carmen viel Sherry oder Wein getrunken hat, kann sie nicht nur zauberhaft singen, sondern auch die tollsten Geschichten erzählen«, stellte der Inspektor die Frau vor.
Alinas
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